Anfangen

Code – die Sprache des 21. Jahrhunderts

Der stetige technologische Wandel prägt unseren Alltag. Wer die digitale Revolution aktiv mitgestalten will, sollte die Grundlagen des Programmierens verstehen.

Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt. Aber wir wissen, dass sie digital sein wird. Algorithmen und Software dominieren bereits weite Teile unserer Gesellschaft. Das betrifft den Berufszweig der Lehrer genauso wie den der Steuerberater, Verkäufer, Bäcker und Taxifahrer. Einige Bereiche, wie bei den Ärzten die Diagnostik, werden mithilfe von Technik, die auf Knopfdruck große Datenmengen auswertet, unterstützt und sogar optimiert. Die Verwandlung unserer Welt lässt sich nicht stoppen – im Gegenteil, sie ist Teil unseres Lebens und prägt unser Handeln: Wir checken unseren Kontostand via Smartphone im Bus, steuern mit Sprachbefehlen das Smarthome und kaufen eine neue Brille nicht zwingend beim Optiker, sondern im Web-Shop.

Die Entwicklung des Datenträgers (von Diskette, CD zu USB-Stick und Festplatte) veranschaulicht die Schnelligkeit und Dimension des technologischen Fortschritts gut. Bei der Markteinführung des USB-Sticks im Jahr 2000 hatte dieser eine Kapazität von maximal 8 GB. Heute verfügt solch ein Speicherstick über bis zu 1 TB. Notizblock-große, in jedem Technikmarkt verfügbare Festplatten haben bis zu 8 TB. Die Digitalisierung wird sich in diesem rasenden Tempo fortsetzen. Wir können sie nicht aufhalten, nur gestalten. Da sind sich Beobachter wie Philosoph Richard David Precht und Informatik-Professor Manfred Broy einig.

Diese digitale Welt ist neu, für Erwachsene noch mehr als für Kinder – sie wachsen ja ganz selbstverständlich mit den Möglichkeiten der Digitalisierung auf.

Diese digitale Welt ist neu, für Erwachsene noch mehr als für Kinder – sie wachsen ja ganz selbstverständlich mit den Möglichkeiten der Digitalisierung auf. Sich auch als Erwachsener als Lernender zu begreifen, ist keine Schande, sondern Notwendigkeit. Die Bezeichnung des Internets als „Neuland“ von Bundeskanzlerin Angela Merkel klingt uns da im Ohr. Diese Einordnung gab Anstoß für viele Fragen und Debatten. Vielleicht ist sie in gewisser Weise treffend. Denn diese neue Welt bleibt zu durchdringen. Dabei hilft, wie bei jeder neuen Aufgabe, die Neugier und eine Begegnung mit offenen wie kritischen Fragen. Dazu gehört auch, die uns umgebende Software zumindest ansatzweise zu begreifen und eine Vorstellung zu entwickeln, wie Programmiersprachen funktionieren.

S Code coding

Das Rüstzeug der Zukunft

Das Ziel ist, digital mündig zu werden und somit die Zukunft gestalten zu können. Ein Programm oder eine App zu konzipieren ist eigentlich nichts anderes als einen Stuhl zu bauen: ein Handwerk, das man erlernen kann. Und Computer sind keine unergründlichen Geräte mit eigenen Regeln, sondern gängige Werkzeuge. Die man (für sich) sinnvoll nutzen kann. Denn in der Welt des Code regiert die Logik, was den Umgang mit Fehlern und deren Analyse entsprechend einfach macht.

Wir leben in Zeiten, in denen Computerprogramme ein tägliches Werkzeug sind. Da verschafft einem die Fähigkeit, eine Programmiersprache zu verstehen, einen großen Vorteil (...)

Wir leben in Zeiten, in denen Computerprogramme ein tägliches Werkzeug sind. Da verschafft einem die Fähigkeit, eine Programmiersprache zu verstehen, einen großen Vorteil: statt sich von der Technik regieren zu lassen, muss man lediglich die richtige Sprache beherrschen, um den Spieß umzudrehen und zum Gestalter zu werden. Den Einstieg ins Coden zu finden, ist heute für Jung und Alt auf niedrigem Level möglich. Klar, nicht jeder muss ProgrammiererIn werden und das Studium zur/m SoftwareingenieurIn absolvieren. Es geht aber um ein Grundverständnis für die Anwendungen, so wie heutzutage jeder über einen Grundwortschatz Englisch verfügt.

Auch der bekannte ARD-Journalist Richard Gutjahr zählt Programmieren zu den Fähigkeiten der Zukunft. In einem Gastbeitrag bei dem Portal Munich-Startup vergleicht er es mit Latein: die Schüler lernen die Sprache nicht, um sich eine Pizza zu bestellen, sondern um ein besseres Sprachgefühl zu erhalten. Genauso wichtig ist es, dass Menschen Programmieren lernen, um nachzuvollziehen, wie die digitale Welt konstruiert ist: „Es gehört einfach zur Allgemeinbildung. Punkt.“

Der Einstieg ins Coden ist kein Hexenwerk

Für diesen niedrigschwelligen Zugang zum Coden gibt es eine Vielzahl einfacher und kostenloser Anwendungen, mit denen Kinder (und auch Erwachsene) gratis und spielend die Grundlagen der Programmierung lernen können. Die Anwendungen gibt es für fast jede Alters- und Erfahrungsstufe, von der einfachen Webanwendung über die App für Android oder iOS bis hin zum komplexen Spiel zum Download.

Die Scratch-Bausteine lassen sich einfach in ein funktionierendes Programm zusammensetzen.
Die Scratch-Bausteine lassen sich einfach in ein funktionierendes Programm zusammensetzen.

Eine der bekanntesten Anwendungen ist Scratch. Mit ihr lernen in erster Linie Kinder, wie Schleifen, Bedingungen oder Variablen funktionieren, ohne sich mit „echtem“ Code auseinandersetzen zu müssen. In vielen Tutorials (Übungen) erarbeiten sie Schritt für Schritt die Grundlagen und nutzen das erlernte Wissen später kreativ in eigenen Programmen. Die Möglichkeiten reichen von einfachen Animationen über interaktive Geschichten bis hin zu kleinen Spielen. Dabei können auch Musik, Bilder oder die eigene Webcam eingebunden werden. Die fertigen Projekte lassen sich in einer Community teilen. Dort können auch die Projekte der anderen Nutzer ausprobieret und an fremden Projektideen weiterarbeitet werden. Programmiert wird, indem Blöcke bzw. Bausteine mit einfachem Programmcode aneinandergereiht werden. Dadurch und durch das schrittweise Erarbeiten der Möglichkeiten ist Scratch gerade für Programmieranfänger geeignet. Die Anwendung funktioniert in jedem gängigen Browser wie Chrome, Firefox oder Safari. Den Ableger ScratchJr (für Kinder zwischen fünf und sieben) gibt es auch als kostenlose App.

Zudem bilden sich in Deutschland immer mehr Initiativen, Vereine und privatwirtschaftliche Angebote heraus, die die Gesellschaft zum Programmieren und zu mehr Medienkompetenz befähigen möchten. Die Angebote richten sich an Kinder, an Familien, an Lehrkräfte und an Senioren – und speziell auch an Mädchen und Frauen, um diese für MINT-Fächer und Technikberufe zu begeistern. In Workshops, Camps oder Tüftel-Stunden wird die Technik einfach ausprobiert. Ufos, Roboter und Traummaschinen aus Pappe und Alufolie werden gebastelt, um Schaltkreise ergänzt, mit LEDs zum Leuchten und Klingen gebracht. Auch kleinere Anwendungen und Sequenzen aus bekannten Videospielen sowie Apps programmieren die Teilnehmer.

S Code learning

Viele Initiativen bieten Grundkurse an

Das App Camps Team in Hamburg beispielsweise möchte Jugendliche und Lehrkräfte für Programmierung begeistern und hat zum Ziel, dass alle Menschen − unabhängig von Geschlecht oder sozialer Herkunft − von der Digitalisierung profitieren. Neben Camps bietet die Initiative kostenloses Unterrichtsmaterial zu Programmierung und digitalen Themen. Lehrkräfte aus allen Bundesländern Deutschlands, Österreich und der Schweiz arbeiten bereits mit diesen Unterlagen.

Die Codingschule in Düsseldorf zeigt Kindern wie Erwachsenen den spielerischen Umgang mit digitalen Themen. Selbst Komplexes wie Data Science wird so aufbereitet, dass jeder ohne Vorkenntnisse einsteigen kann. Mittlerweile bieten sie auch Inhouse-Workshops für Mitarbeiter und Führungskräfte an. Und: Der Spielzeug-Hersteller Haba hat vor zwei Jahren damit begonnen, unter der Firmierung Haba Digitalwerkstatt einen kreativen Bildungs- und Erfahrungsraum aufzubauen, in dem Kinder zwischen sechs und 12 Jahren den kreativen Umgang mit neuen Technologien lernen. Mittlerweile gibt es fünf Standorte in Deutschland (Berlin, München, Hamburg, Frankfurt, Lippstadt), weitere sind in der Umsetzung. Sie arbeiten bereits mit vielen staatlichen Schulen zusammen und möchten laut eigener Angabe „das Bildungssystem langsam, aber sicher ändern und auf neue Herausforderungen anpassen.“

Wir stellen im Coding Kids Navigator regelmäßig die bundesweiten Initiativen vor. Diese neuen Angebote zum Programmieren lernen vereint auch, dass sie auf interdisziplinäres Lernen setzen und nicht nur digitales Know-how vermitteln, sondern sogenannte Metakompetenzen. Diese sind: Problemlöse-Kompetenz, Fehlerkultur und -kompetenz, Frustrationstoleranz und Resilienz, Kreativität und Experimentierfreude, Teamfähigkeit, Toleranz und Wertschätzung, strukturiertes Denken sowie Medienkompetenz.

Digitale Bildung gehört in die Schulen

Mit dem etwa sieben mal acht Zentimeter kleinen Computer können Kinder und Lehrer eine Vielzahl von Experimenten machen. Möglich machen das Sensoren etwa für Licht und Bewegung, Beschleunigung und Temperatur. Befehle werden per USB-Verbindung auf den Rechner aufgespielt.
Mit dem etwa sieben mal acht Zentimeter kleinen Computer können Kinder und Lehrer eine Vielzahl von Experimenten machen. Möglich machen das Sensoren etwa für Licht und Bewegung, Beschleunigung und Temperatur. Befehle werden per USB-Verbindung auf den Rechner aufgespielt.

Das deutsche Bildungssystem hat in der Digitalisierung noch eine Menge Hausaufgaben zu erledigen. Der Weg für den Digitalpakt Schule ist im März frei geworden, der Bundesrat hat die notwendige Verfassungsänderung beschlossen und der Bund darf in Zukunft die Digitalisierung der Schulen vorantreiben. Das ist eine gute Nachricht und ein wichtiger Schritt, um mit diesen Geldern die Hardware-Ausstattung und WLAN-Verfügbarkeit voranzutreiben.

In Hamburg beispielsweise werden nun 15.000 Minicomputer des Fabrikats Calliope Mini für die Schulen angeschafft, damit alle Schülerinnen und Schülern mit diesem kleinen Multitalent Programmieren erlernen können. Ein entscheidender Punkt bleibt bundesweit, wie die Lehrkräfte schnell auf den Stand gebracht werden, um das entsprechende digitale Wissen zu erlernen und dieses dann auch vermitteln zu können. Also ein Konzept, das neben der digitalen Anwendungskompetenz auch beinhaltet, wie die o.g. Metakompetenzen an die fachlich akademisch orientierten Schulen (und Hochschulen) kommen. Neue Lösungen für zeitgemäßes, umfassendes Lernen sind gefragt, um den Kindern bereits ordentliches Rüstzeug im Umgang mit dem stetigen technologischen Wandel und für die neue Berufswelt mitzugeben.

S Code family

Vorbilder im digitalen Familienleben

Die Familie ist in diesem Kontext auch vor neue Herausforderungen gestellt. Eltern, Großeltern, Tante und Onkel, die Erwachsenen, sind – ebenso wie in allen Lebensbereichen – die Vorbilder. Mit der eigenen digitalen Bildung und Mediennutzung leben sie vor, wie man sich in der digitalen Welt zurechtfindet. Und dafür müssen Erwachsene wissen, wie diese funktioniert. Neben der Aufsichts- und Fürsorgepflicht besteht mittlerweile eine digitale Verantwortung für die Kinder. Das bedeutet, auch hier (wie im Straßenverkehr) Regeln zu haben, die Gefahren zu kennen und durchaus Technik einfach mal gemeinsam auszuprobieren, um diese einordnen zu können. Und es bedeutet auch, MINT-Anreize für Mädchen und Jungen zu schaffen, um sie an technische Fächer und Berufe heranzuführen, die den Arbeitsmarkt der Zukunft prägen.

Die Berufe der Zukunft

In der Wirtschaft ist seit Jahren der Ruf nach IT-Fachkräften – und generell nach Fachkräften mit digitaler Kompetenz – laut. Bei aktuell 82.000 offenen Stellen allein in der IT ist das nicht verwunderlich. „Wer programmieren kann, braucht keine Bewerbung mehr zu schreiben.“, schrieb vor kurzem die Süddeutsche Zeitung. Zum Einen wird daher verständlicherweise die digitale Transformation in den Unternehmen groß geschrieben, zum Anderen werden neue Recruiting Maßnahmen ausprobiert. Insbesondere für Unternehmen in ländlichen Regionen ist die Verhinderung der Abwanderung und die Akquise von IT-Fachpersonal die Kernaufgabe, um den Fortbestand zu sichern.

Unternehmen werden in den nächsten Jahren massiv nach Menschen suchen, die die Qualifikationen, die Einstellung und die Persönlichkeit mitbringen, um den fundamentalen digitalen Wandel zu gestalten


Unternehmen werden in den nächsten Jahren massiv nach Menschen suchen, die die Qualifikationen, die Einstellung und die Persönlichkeit mitbringen, um den fundamentalen digitalen Wandel zu gestalten und ihren Unternehmen den Weg in eine erfolgreiche Zukunft zeigen. Für diese Problemlösung setzen neue Anbieter wie die Shiftschoolin Nürnberg an. In einer 18-monatigen Weiterbildung zum Digital Transformation ManagerIn werden „auf interaktive und praxisorientierte Art und Weise genau die Kompetenzen vermittelt, die im digitalen Jahrhundert am meisten gebraucht werden.“ Einen ähnlichen Ansatz verfolgt das StartUp Neue Fische. In nur 12 Wochen bildet das Team Web Developer oder Data Scientists aus. Mit der folgenden Herleitung: „In den USA haben sich Bootcamps für digitale Talente längst erfolgreich etabliert und vermitteln so immer mehr spezialisierte Arbeitskräfte in den Markt – neue Fische für den Personalteich.“ Der Mode-Versandhandel BonPrix geht beispielsweise den ungewöhnlichen Weg und macht sich für den weiblichen IT-Nachwuchs stark, indem er eine Coding Challenge ausruft. Mit dem Zweck, als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden und für das Unternehmen talentierten Nachwuchs zu finden.

S Code future 2

Eine kulturelle und industrielle Revolution

Die Herausforderung an unsere Gesellschaft besteht darin, den Umgang mit stets neuen Technologien, mit neuen Fähigkeiten, mit ständigem Lernen, mit sozialem Miteinander auf verschiedensten analogen und digitalen Kanälen und mit neuen Berufsbildern, zu meistern. Digital-Kompetenz ist ein entscheidender Faktor, um sich in dieser sich rasant verändernden Welt zurecht zu finden – und fit für die Zukunft zu bleiben. Das bedeutet, die Sprache der Zukunft zu sprechen. Ein Bestandteil davon ist Code sowie auch die beschriebenen Fähigkeiten.

Das World Economic Forum kam zum Jahresstart in Davos zu der Einordnung, dass entgegen der vorherrschenden Unsicherheit der Mensch für die Zukunft der Arbeit eine zentrale Rolle spielen wird. 21 neue Jobs wird es bis 2029 geben. Also passt unter all diesen Aspekten die Bezeichnung Neuland, die die Kanzlerin wählte? Fakt ist, Zukunft ist immer ein großes Stück Neuland. Der Lauf der Welt, des Fortschritts, den wir rasant empfinden, bringt uns immer schneller unter den Druck des Verstehen müssens und auch wollens. Dies ist eine Taktung, die für Digital Natives normal ist. Sie stehen voller Neugier in dieser rasanten Welt und gehen intuitiv mit Technologien um. Diese Selbstverständlichkeit und Aufgeschlossenheit können wir uns schon einmal annehmen, um die ersten Vokabeln der Sprache der Zukunft zu beherrschen.

Der Beitrag ist in kompletter Länge im Rotary Magazin, Ausgabe Mai 2019, im Bildungspecial abgedruckt worden. Bitte hier entlang zu dem Beitrag auf rotary.de!

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