Der Autor Dirk von Gehlen über die Angst vor Neuem, digitale Weiterbildung für Erwachsene und Eltern als Vorbilder.
Redaktion 21. Juli 2017
Er gilt als einer der profiliertesten deutschen Internet-Vordenker: Der Journalist und Autor Dirk von Gehlen befasst sich in seinen Texten und Vorträgen mit der Digitalisierung und wie sie Gesellschaft, Kultur und Unternehmen beeinflusst. Im Interview mit Coding Kids erzählt von Gehlen, warum er digitale Weiterbildung für Erwachsene für ebenso wichtig hält wie für Kinder – und wieso er digitale Technologien mit Sport vergleicht.
Herr von Gehlen, Sie befassen sich mit digitalen Phänomenen. Wie halten Sie es mit Smartphone und Co. in der Kindererziehung?
„Erziehung ist Vorbild und Liebe, sonst nichts.“ Das Zitat ist nicht von mir, mit digitaler Kompetenz kann man aber herausfinden, woher es stammt. Und ja, es gilt auch für digitale Themen ...
Welche gesellschaftliche Stellung haben digitale Themen in Ihren Augen?
Ich habe den Eindruck, dass die gesellschaftliche Debatte über das Neue und das Fremde sehr stark vom Angst-Diskurs geprägt ist. Nicht Chancen oder Lösungsansätze bestimmen das Bild, sondern Warnungen und Schreckensszenarien. Ich wünsche mir eine pragmatischere und im Sinne der tollen Autorin Rebecca Solnit auch hoffnungsvollere Haltung zur Zukunft. Sie schreibt: „Hoffnung ist die Umarmung des Unbekannten und dessen, was man nicht wissen kann. Hoffnung ist eine Alternative zu der Gewissheit, die Optimisten und Pessimisten gleichermaßen ausdrücken. Optimisten denken, alles werde sich zum Guten wenden ganz ohne unser Zutun; Pessimisten nehmen die gegenteilige Haltung ein – beide finden darin eine Entschuldigung dafür, nicht selber aktiv zu werden.“
Wie bewerten Sie politische Ansätze, digitale Bildung in die Schulen zu bringen?
Als Johanna Wanka im vergangenen Herbst ihren Digitalpakt#D vorstellte, bekam sie zum Beispiel vom Präsidenten des Lehrerverbands mächtig Gegenwind. Dabei hatte sie – sehr vereinfacht gesprochen – lediglich vorgeschlagen, Schulen an die digitale Infrastruktur anzubinden. Wenn schon diese Selbstverständlichkeit für Streit sorgt, muss man die Frage, wie man digitale Kompetenzen zum Bestandteil der Ausbildung macht, gar nicht stellen. Und bei der Schule hört es ja nicht auf: Wo sind die Ansätze, auch Menschen konsequente Weiterbildung zukommen zu lassen, die sich als schon fertig ausgebildet empfinden? Ich glaube, dass digitale Bildung für alle Altersklassen hohe Priorität haben sollte. Und im Sinne der ersten Frage wäre ein guter erster Schritt, wenn wir Lehrkräfte und Eltern zu Vorbildern im Umgang mit digitalen Werkzeugen machen.
Wen sehen Sie beim Thema digitaler Bildung besonders in der Pflicht, Eltern oder die Schulen?
„Wenn es gelingt, die digitalen Möglichkeiten in den Vordergrund zu rücken, dann kann auch die Begeisterung für gegenwärtige Technologien wachsen.“
Dirk von Gehlen
Ich sehe da vor allem Lust und Freude am Gestalten – und keine Pflicht. Das ist nämlich vermutlich einer der Gründe, warum die Debatte ums Digitale so verkrampft geführt wird: dass viele Menschen sie als reine Pflicht empfinden. Wenn es gelingt, die digitalen Möglichkeiten in den Vordergrund zu rücken, dann kann auch die Begeisterung für gegenwärtige Technologien wachsen. Die weltweite Vernetzung, die Digitalisierung und das gemeinsame Arbeiten im digitalen Raum sind doch – ich werde mal pathetisch – wunderbare Geschenke. Lasst sie uns in die Schule tragen und die Welt auch damit zu einem besseren Ort machen.
In Ihrem Buch „Meta“ postulieren Sie das Ende des Durchschnitts und ein Zeitalter der individuellen Information. Eine Chance auch für Bildung und Schule?
Ich versuche, die Möglichkeiten der Digitalisierung aufzuzeigen – und ein sehr zentraler Aspekt liegt dabei in dem, was ich „Das Ende des Durchschnitts“ nenne. Botschaften und Inhalte werden künftig nicht mehr einzig beim Sender geprägt, sondern können sich auch beim und mit dem Empfänger formen. Sie werden personalisierbar. Das Buch versucht eine Beschreibung dieser Entwicklung in zahlreichen gesellschaftlichen Bereichen. Man sieht dies beim Bundesliga-Fußball ebenso wie in der Medizin – und stets muss man Chancen und Risiken dabei abwägen. Mein zentraler Punkt dafür lautet: Man wird nur dann besser, wenn man etwas trainiert. Das gilt für Sprachen, für das Spielen eines Instruments und beim Sport. Und natürlich gilt es auch für digitale Technologien. Wir müssen digitale Technologien trainieren, um besser zu werden.
Zur Person
Dirk von Gehlen, 42, ist Autor, Digital-Experte, Journalist und Vater zweier Kinder. Er leitet bei der „Süddeutschen Zeitung“ in München den Bereich Social Media/Innovation. Als Autor von Büchern wie „Meta! Das Ende des Durchschnitts“, „Eine neue Version ist verfügbar“ oder „Mashup: Lob der Kopie“ und auf seiner Website befasst er sich mit digitalen Phänomenen.