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Interview

„Früher war Programmieren ein Frauenberuf“

Die Code Girls aus Leipzig bieten einen Raum für Frauen, die sich mit Programmieren beschäftigen wollen. Wie das funktioniert – und was die Gründerinnen antreibt.

Wie funktioniert eigentlich eine Website – und wie gelingt es, selbst eine zu bauen? Und was steckt eigentlich hinter kryptischen Begriffen wie Ruby, Rails oder JavaScript? Julia Hoffmann und Natalie können solche Fragen beantworten, obwohl sie keine ausgebildeten Webdesigner oder Programmiererinnen sind. In Leipzig haben sie mit den Code Girls eine Art Stammtisch geschaffen, bei dem Frauen sich ohne Druck dem Programmieren und technischen Themen nähern können. Im Interview mit Coding Kids erzählt Co-Gründerin Julia Hoffmann, wie es dazu kam, worum es bei den Treffen geht – und was sich in ihren Augen in der digitalen Bildung ändern sollte.

Frau Hoffmann, Sie mögen Programmiercodes. Was fasziniert Sie an ihnen?

Unsere gesamte digitale Welt ist mit Hilfe von Code gebaut. Und genau wie wir keine Architekten sein müssen, um Architektur zu schätzen und uns damit zu beschäftigen, so müssen wir auch keine Programmierer sein, um uns mit dem digitalen Raum auseinanderzusetzen und darin zu partizipieren. Eine sogenannte „code literacy“ ist sinnvoll, weil die Grenzen zwischen digitaler und analoger Welt heute beinahe komplett verschwunden sind. Code ist zwangsläufig Teil des Lebens. Wer über „code literacy“ verfügt, kann mit Programmiersprachen und Code kreativ werden und die Welt mitgestalten. Das kann in Form einer App oder einer Website sein, oder auch, indem man ein kleines Programm schreibt, dass Zutatenmengen in Personenanzahl umrechnet. Faszinierend sind Code und Programme für uns immer, wenn sie den Menschen das Leben erleichtern.

Gemeinsam mit Ihrer Kollegin Natalie Sontopski haben Sie in Leipzig die Code Girls gegründet – wie kam es dazu?

Natalie hatte Tickets für die Campus Party gewonnen, das ist ein Technologie-Festival in Berlin. Sie hatte sich durch ihren Blog schon mit HTML beschäftigt, ich hatte bei Codecademy erste Programmier-Erfahrungen gesammelt. In Berlin besuchten wir einen Vortrag der Rails Girls Berlin, die Workshops für die Programmiersprache Ruby und das Framework Rails organisieren. Beeindruckt von diesem Vortrag suchten wir nach einer ähnlichen Gruppe in Leipzig. Da es noch keine gab, gründeten wir kurzentschlossen die Code Girls und bastelten ganz klassisch Flyer, die wir kopierten und aufhingen, in der Hoffnung, dass es noch mehr Interessentinnen gibt.

Wie waren die Reaktionen darauf?

Die Resonanz auf unsere ersten Aufrufe war eher gering. Schnell meldete sich jedoch ein Vertreter des lokalen Hackerspaces sub:lab bei uns und wir konnten daraufhin deren Räumlichkeiten nutzen. Mit der Zeit bauten wir außerdem ein großes Netzwerk mit Coaches auf, die uns kontinuierlich unterstützen. Wenn ich die Anzahl der Teilnehmerinnen betrachte, die über die Jahre unsere Veranstaltungen besucht haben sowie das Medieninteresse, kann ich ein durchweg positives Fazit ziehen.

Sie haben beide beruflich keinen technischen Hintergrund. Wie leicht fiel es Ihnen, mit dem Thema Programmieren zu starten?

„Ich fände es nicht gut, wenn mehr Informatikunterricht angeboten wird und dafür andere Fächer wie Musik oder Geografie zurückweichen müssten.“ Julia Hoffmann

Am Anfang waren wir sehr beflügelt. Das lag auch daran, dass es einfach Spaß machte, gemeinsam die Code Girls zu gründen und uns dabei kreativ auszuleben. Zunächst gab es viele Erfolgserlebnisse. Wenn das erste Mal eine selbst geschriebene HTML-Seite auf dem Bildschirm erscheint, grenzt es fast an Zauberei, auch wenn sie optisch eher an die 90er-Jahre erinnerte. Gerade als Geistes- und Sozialwissenschaftlerin ist es außerdem toll, wenn etwas entweder funktioniert oder nicht, die Richtigkeit einer Aussage also keine Interpretationssache ist.

Dieses Gefühl von Zauberei habe ich heute noch immer, aber ich werde in diesem Leben wahrscheinlich keine professionelle Programmiererin mehr. Dafür habe ich nicht genug Spaß daran, mir stundenlang die Zähne an kniffligen Problemen auszubeißen und sehr genau zu arbeiten. Außerdem finde ich es schwierig, den Wissensvorsprung anderer Menschen aufzuholen, die vielleicht schon seit der Schulzeit programmieren. Die Code Girls sind für Natalie und mich deshalb weniger Weiterbildungsplattform als vielmehr ein Raum, in dem man sich mit Spaß dem Programmieren nähern kann.

Wie läuft so ein Treffen der Code Girls ab?

Wir haben etwas gebraucht, um für die Teilnehmerinnen und uns die beste Form zu finden. Derzeit bieten wir anderthalbstündige Workshops zu verschiedenen Themen an, von „Was ist eigentlich ein Algorithmus?“ über Wordpress-Diskussionsrunden bis hin zu „Software-Versionierung mit Git“, also etwas spezielleren Themen. Wir haben versucht, längerfristige Kurse anzubieten, das ist jedoch aufgrund der recht hohen Fluktuation gescheitert. Ich denke, Teilnehmerinnen, die eine Art Kurs suchen, sind vielleicht enttäuscht. Diejenigen aber, die in ein Thema reinschnuppern wollen oder nach neuen Anregungen suchen, sind bei uns gut aufgehoben.

Der Stammtisch ist nur für Frauen. Sind solche speziellen Räume nötig?

Wir möchten Frauen gezielt ansprechen und sie dazu motivieren, sich mit Code auseinanderzusetzen und ihn als Werkzeug zu sehen, um kreativ zu werden.

Wir möchten Frauen gezielt ansprechen und sie dazu motivieren, sich mit Code auseinanderzusetzen und ihn als Werkzeug zu sehen, um kreativ zu werden. Frauen sind in vielen IT-Bereichen unterrepräsentiert und es wäre schön, wenn sich das ändert. Die digitale Welt sollte auch von digitalen Architektinnen mitgestaltet werden. Es ist außerdem toll, mitzubekommen, dass sich noch andere Frauen für das Programmieren interessieren und es einen Raum zum Erfahrungsaustausch und gemeinsamen Lernen gibt. Unserer Erfahrung nach ist die Gruppendynamik in reinen Frauengruppen eine andere. Bei reinen Vorträgen können aber auch gerne Männer vorbeikommen.

Programmieren? Frauensache!

Heute kann man sich das kaum noch vorstellen, aber Programmieren galt früher tatsächlich als Frauenberuf. Die ersten Software-Entwickler waren Frauen – das war in den 40er-Jahren. Und noch im 1987 lag ihr Anteil in IT-Berufen bei 42 Prozent (in den USA). Präzise arbeiten, geduldig sein und einen Blick fürs Detail haben – alles Stärken, die man Frauen zuschrieb.

Heute stecken Politik und Wirtschaft viel Geld in Kampagnen, um Frauen und Mädchen für MINT-Fächer und -Berufe zu begeistern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik). Interessant ist, dass sich in den letzten Jahrzehnten das Image der IT-Jobs von typisch weiblich zu typisch männlich gewandelt hat.

Lust auf Mathe macht übrigens der Film Hidden Figures, der die wahre Geschichte von drei Mathematikerinnen in den 60er-Jahren zeigt, die für die NASA bedeutende Rechnungen anstellten.

Haben Sie eine Erklärung dafür, warum die IT-Branche so männlich dominiert ist?

Ich glaube, dass mit dem Aufkommen der Heimcomputer IT-Berufe sehr prestigeträchtig und gut bezahlt wurden. Früher war Programmieren eher ein Frauenberuf. In anderen Ländern arbeiten prozentual auch mehr Frauen in der IT-Branche als in Deutschland. An den biologischen Gegebenheiten liegt es also nicht. Ich denke, beim Programmieren fehlen die weiblichen Vorbilder. Und Netzwerke und technisches Interesse wird noch oft mit Männlichkeit assoziiert, weshalb möglicherweise viele Mädchen und Frauen eine Karriere in diesem Bereich nicht in Betracht ziehen.

Oft wenden sich Mädchen in der Schule schon früh von technischen Themen ab. Warum, glauben Sie, ist das so?

Schwierige Frage. Ich kann von mir sagen, dass der Informatikunterricht in meiner Schule, der aus Flyern in Word basteln und Chatten bestand, nicht sehr ansprechend war und ich keinen wirklichen Zusammenhang mit meinem Leben erkennen konnte. Ich hatte sogar gute bis sehr gute Noten in den Naturwissenschaften und zu Hause Zugang zu unserem Computer, aber letztendlich interessierte ich mich einfach mehr für andere Themen. Ich finde es auch vollkommen legitim, wenn Mädchen keine Programmiererin werden möchten, obwohl die Berufsaussichten gut sind. Ein digitales Grundwissen kann aber nicht schaden und ich würde es begrüßen, wenn mehr Sozial- und Geisteswissenschaftlerinnen sich mit Tech-Themen beschäftigen würden. Gerade deren Stimmen brauchen wir angesichts der Digitalisierung der Arbeit, Hackerangriffen auf Wahlen oder dem Umgang mit Hass im Netz dringend.

Was müsste sich ändern?

Ich fände es nicht gut, wenn mehr Informatikunterricht angeboten wird und dafür andere Fächer wie Musik oder Geografie zurückweichen müssten. Die sind genauso wichtig. Der Informatikunterricht sollte näher an der Lebenswelt der Jugendlichen sein und ihnen aufzeigen, wie sie Code kreativ einsetzen können. Digitale Themen können auch in andere Fächer integriert werden, indem man zum Beispiel im Kunstunterricht Selfies klassischen Selbstporträts gegenüberstellt oder im Sozialkundeunterricht diskutiert, ob Apple das FBI bei der Entschlüsselung von Smartphones unterstützen sollte.

Zuletzt haben Sie sogar ein Buch zum Thema Programmieren veröffentlicht. Was möchten Sie damit erreichen?

Als Natalie und ich mit dem Programmieren anfingen, waren wir von dem Angebot an Lernprogrammen und Programmiersprachen überwältigt und wussten gar nicht, wo wir anfangen sollten. Deshalb haben wir mit „We Love Code!“ genau das Buch geschrieben, dass wir uns zu Beginn gewünscht hätten. Es ist eine Art Reiseführer durch die Welt des Programmierens, das sowohl männliche als auch weibliche Programmierpioniere vorstellt, Code aus einer historischen und popkulturellen Perspektive betrachtet und dazu ermutigen möchte, das Programmieren selbst auszuprobieren.

Zur Person:

Julia Hoffmann, 29, und Natalie Sontopski, 32, sind Gründerinnen der Code Girls in Leipzig. Hoffmann studierte Kommunikations- und Medienwissenschaftlerin, heute arbeitet sie an einem biowissenschaftlichen Forschungszentrum. Sontopski ist studierte Kultursoziologin. Derzeit arbeitet sie als Veranstaltungsmanagerin in einem IT-Unternehmen. In ihrer Freizeit bloggt sie auf endemittezwanzig.de.

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