Sie sagen in Ihren Vorträgen auch, dass Langeweile der einzige Weg zur Kreativität ist.
Die elektronischen Medien sind der Kreativitätskiller schlechthin. Jeder Anflug von Langeweile wird gleich mit Medienkonsum kompensiert. Alleine deshalb ist es nicht empfehlenswert, einem Kind zu früh unbegrenzten Zugang zu Tablet, Smartphone und Fernseher zu ermöglichen. Wir wünschen uns alle, dass unsere Kinder nicht nur Rezipienten sind, sondern die Möglichkeiten, die in dieser Technik stecken, kreativ nutzen.
Was empfehlen Sie?
Zum Beispiel einen Roboter-Bausatz wie etwa das Mindstorm-Set von Lego. Es fördert die Kreativität. Leider läuft die Programmierung mittlerweile über App-Steuerung. Damit komme ich als Eltern in den Zugzwang: Wenn ich das kreative Spielen und Programmieren ermöglichen will, muss ich ein Smartphone oder Tablet zur Verfügung stellen. Der Apell: Nicht das eigene Gerät: Früher gab es ein Familien-PC, heute sollte es ein Familien-Tablet geben, bei dem die Eltern klar im Blick haben, welche Apps auf dem Gerät sind und welche von wem genutzt werden.
Sie sind pädagogisch-therapeutischer Medienberater. Für was steht das therapeutisch in Ihrer Berufsbezeichnung?
Es steht für vorbeugend. Wenn es um die Medienkompetenz geht, kann ich in einer Mittelstufenklasse heute nicht mehr nur Präventionsarbeit machen. Das gilt für die Eltern genauso. Da übe ich eher Schadensbegrenzung. Ich denke da auch an konkrete Fälle von Mobbing.
Wie meinen Sie das?
„Es wurde schon immer gehänselt. Heute haben diese Hänseleien aber eine neue Qualität – und diese Dynamik hängt mit den Medien zusammen.“
Kinder und Jugendliche waren noch nie immer nett zueinander. Es wurde schon immer gehänselt. Heute haben diese Hänseleien aber eine neue Qualität – und diese Dynamik hängt mit den Medien zusammen. Es macht eben einen Unterschied, ob ich eine Person vor mir habe oder nicht. Von Angesicht zu Angesicht traut man sich nicht, die ganz üblen Gedanken auszusprechen. Denn so hat man gleich ein Gefühl dafür, ob man eine Grenze überschritten hat, weil man die Reaktion des anderen sieht.
Und durch die Distanz fällt diese weg.
Ganz genau. Menschen geben im digitalen Raum Dinge von sich, die sie normalerweise niemals aussprechen würden. Und ein zweiter Punkt ist in Sachen Mobbing entscheidend: die Nachhaltigkeit. Wenn man im Streit einen Freund oder Mitschüler eine Beleidigung an den Kopf wirft, ärgert man sich fünf Minuten später über sich selbst und nuschelt am nächsten Tag eine Entschuldigung. Bei Foren aber ist es so: Wenn da etwas steht, steht es da. Die Beleidigung sieht man heute und morgen und in fünf Tagen. Einmalige Entgleisungen gibt es nicht mehr.
Können Sie erklären, was digitale Fürsorgepflicht ist?
Der Begriff stammt von der Drogen- und Suchtbeauftragen der letzten Bundesregierung. Er tauchte auf mit der Veröffentlichung der Blikk-Studie. Vielen Eltern ist nicht klar, dass sie diese Fürsorgepflicht für ihr Kind haben. Wer seinem Kind ein Internetgerät zur freien Verfügung stellt und sich danach in keinster Weise darum kümmert, was sein Kind damit macht, verletzt die digitale Fürsorgepflicht. Dies sehen die Gerichte mittlerweile genauso, denn wie schon gesagt, die Geräte laufen bis 16 Jahre über die Eltern.
Was empfehlen Sie noch fürs Familienleben?
Bei gemeinsamen Mahlzeiten wird das Smartphone weggepackt. Auch Vati und Mutti dürfen nicht draufschauen. Wenn wir das nicht tun, denken die Kinder: Ohne Smartphone geht es nicht, und zwar vom Aufstehen bis zum Schlafengehen. Eltern müssen sich ihrer Vorbildfunktion viel stärker bewusst werden. Was Kinder zu Hause erleben, ist für sie Normalität.
Was auch wichtig ist: Eltern sollten klare Mediennutzungszeiten vorgeben. Internetfähige Geräte haben nachts im Jugendzimmer nichts verloren. Die Geräte werden ausgeschaltet und in die Küche gelegt. Das fördert die Gesundheit des Schlafes und die Lernfähigkeit. Es ist gesund für Menschen, wenn sie feste Zeiten haben, in denen sie nicht erreichbar sind: Mittagessen, Abendessen, Nachtruhe. Firmen führen nicht ohne Grund den emailfreien Freitag ein. Permanente Erreichbarkeit führt nicht zur Steigerung der Produktivität, sondern ins Gegenteil.