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Interview

„Smartphones waren nie für Jugendliche gedacht“

Was ist erlaubt in Bezug auf Internet, Handy, soziale Medien? Medienpädagoge Uwe Buermann erklärt im Interview, wie Eltern ihrem Kind auf sinnvolle Weise den Eintritt in die digitale Welt gestatten.

Brauchen Jugendliche wirklich ein Smartphone, um die Kompetenzen der Zukunft zu erlernen? Ist Mobbing schlimmer geworden, seitdem es digitale Medien gibt? Und warum ist Langeweile der einzige Weg zur Kreativität? Uwe Buermann ist seit 22 Jahren pädagogisch-therapeutischer Medienberater. Im Coding-Kids-Interview beantwortet er alle Fragen, die Eltern in Bezug auf die Digitalisierung bewegen.

Herr Buermann, wir fallen jetzt direkt mit der Tür ins Haus: Kann man seinem Kind heute überhaupt noch ein Smartphone verbieten?

Keiner möchte, dass sein Kind ein Außenseiter ist und in dieser Rolle unglücklich wird. Wir alle wissen, dass es sich da um reale Gruppendruck-Situation handeln kann. Es entsteht ein enormer Sozialdruck auf die Kinder. Die Angst wird groß, nicht dabei zu sein. Eltern müssen da abwägen. Ich als pädagogisch-therapeutischer Medienberater weiß, wie schwierig das sein kann.

Eine SIM-Karte fürs Smartphone darf man eigentlich erst mit 16 Jahren besitzen.

Richtig. Wer vorher eines hat, benutzt es im Namen der Eltern, denn der Vertrag der SIM-Karte läuft ja auf den Erwachsenen. Und auch WhatsApp darf laut den eigenen AGBs erst ab 13 Jahren benutzt werden. Wenn ich das Eltern erkläre, sind sie oft erstaunt.
Jedenfalls sollte man sein Tun unbedingt hinterfragen: Nur weil sich die Mehrheit nicht an Gesetze hält, muss ich nicht mitmachen. Es läuft aber immer so, dass eine Familie als erstes der Meinung ist, ihr Kind sei reif für ein solches Gerät. Kurz danach kommen die zweite und dritte Familie auf die Idee. Jetzt rennen die restlichen Kinder nach Hause und erzählen: alle anderen haben eines! So kippt eine Familie nach der anderen um.

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Wie könnte man auf pädagogisch sinnvolle Art seinem Kind den Eintritt in die digitale Welt gestatten?

Es müssen von Anfang an klare Regeln verabredet werden. In etwa so: „Das Gerät ist kein Geschenk, sondern eine Leihgabe. Alles läuft über meinen Namen, ich trage zu einhundert Prozent die juristische Verantwortung für dein Tun. Wann immer ich will, habe ich das Recht, hineinzusehen.“ Diese Ansage müssen Jugendliche unter 16 Jahren schlucken. Und gleichzeitig verstehen, dass ihr Smartphone kein Tagebuch ist, in dem sie Privatsphäre haben.

Klingt ein bisschen nach Helikopter-Eltern, oder?

„Kinder müssen wissen, dass ihre Handlungen im Internet Konsequenzen haben.“

Eben nicht! Es geht um pädagogische Begleitung. Wenn meine Tochter etwas schreibt, was ich nicht wissen darf, ist schon etwas schief gelaufen. Das Internet ist kein Raum, in den ich intime Gedanken teilen kann. Wenn ich jemandem etwas Vertrauliches mitteilen möchte, dann darf ich das nicht übers Netz tun. Sondern ich treffe über das Gerät eine Verabredung für ein persönliches Gespräch. Ich möchte einen klaren Aufruf zur begleitenden Kontrolle aussprechen! Kinder müssen wissen, dass ihre Handlungen im Internet Konsequenzen haben. Ich denke da auch an Sexting und Mobbing.

Ist es Ihrer Meinung nach eine gute Sache, dass Jugendliche nicht vor dem 16. Geburtstag ein Smartphone besitzen dürfen?

Die Geräte waren nie für Jugendliche gedacht, pädagogische Fragen hat sich Steve Jobs vermutlich keine gestellt. Das Smartphone gibt es jetzt seit etwa zehn Jahren. Auch bei uns Erwachsenen ist es teilweise aus dem Ruder gelaufen. Die Weltgesundheitsorganisation hat Internetsucht offiziell als Suchterkrankung anerkannt. Wir alle müssen uns die Frage stellen: Wer beherrscht hier wen? Und: Welche Fähigkeiten muss ich mitbringen, um Internet und Smartphone sinnvoll zu nutzen? Eine gewisse Reife hat eben auch mit dem Alter zu tun.

Viele Eltern möchten, dass ihre Kinder wichtige Kompetenzen für die Zukunft lernen und geben Ihnen deshalb ein Smartphone.

Ich argumentiere jetzt mal böse zurück: Alle Jugendlichen müssen früher oder später lernen, mit Alkohol zurechtzukommen. Trotzdem kommt keiner auf die Idee, im Kindergarten Bier zu verteilen, damit sie sich früh an den Konsum gewöhnen.
So, und jetzt noch mal im Ernst. Ich kenne das Argument: „Alle anderen machen das auch und wir leben schließlich im digitalen Zeitalter. Also her mit dem Smartphone!“ Aber so ein Gerät bedarf einer Reife, die jüngere Jugendliche nicht flächendeckend haben. Ich führe gerne das Beispiel vom Autofahren an. Wir tun ja nicht so, als würde es keine Autos geben, bis unsere Kinder 17 Jahre alt sind. Nein, wir nehmen die Kinder mit, aber wir lassen sie nicht selber fahren und schnallen sie auch an. Es gibt wirklich tolle Sachen im Internet, keine Frage. Tutorials auf YouTube etwa. Aber einen Klick weiter findet man auch Hinrichtungsvideos und eine Beauty-Bibi. Also: Ich kann mich mit meinem 12-Jährigen hinsetzen und Bruchrechnen-Tutorials ansehen. Aber ich kann nicht dem Kind einen Rechner in sein Zimmer stellen und es mal machen lassen.

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Sie sagen in Ihren Vorträgen auch, dass Langeweile der einzige Weg zur Kreativität ist.

Die elektronischen Medien sind der Kreativitätskiller schlechthin. Jeder Anflug von Langeweile wird gleich mit Medienkonsum kompensiert. Alleine deshalb ist es nicht empfehlenswert, einem Kind zu früh unbegrenzten Zugang zu Tablet, Smartphone und Fernseher zu ermöglichen. Wir wünschen uns alle, dass unsere Kinder nicht nur Rezipienten sind, sondern die Möglichkeiten, die in dieser Technik stecken, kreativ nutzen.

Was empfehlen Sie?

Zum Beispiel einen Roboter-Bausatz wie etwa das Mindstorm-Set von Lego. Es fördert die Kreativität. Leider läuft die Programmierung mittlerweile über App-Steuerung. Damit komme ich als Eltern in den Zugzwang: Wenn ich das kreative Spielen und Programmieren ermöglichen will, muss ich ein Smartphone oder Tablet zur Verfügung stellen. Der Apell: Nicht das eigene Gerät: Früher gab es ein Familien-PC, heute sollte es ein Familien-Tablet geben, bei dem die Eltern klar im Blick haben, welche Apps auf dem Gerät sind und welche von wem genutzt werden.

Sie sind pädagogisch-therapeutischer Medienberater. Für was steht das therapeutisch in Ihrer Berufsbezeichnung?

Es steht für vorbeugend. Wenn es um die Medienkompetenz geht, kann ich in einer Mittelstufenklasse heute nicht mehr nur Präventionsarbeit machen. Das gilt für die Eltern genauso. Da übe ich eher Schadensbegrenzung. Ich denke da auch an konkrete Fälle von Mobbing.

Wie meinen Sie das?

„Es wurde schon immer gehänselt. Heute haben diese Hänseleien aber eine neue Qualität – und diese Dynamik hängt mit den Medien zusammen.“

Kinder und Jugendliche waren noch nie immer nett zueinander. Es wurde schon immer gehänselt. Heute haben diese Hänseleien aber eine neue Qualität – und diese Dynamik hängt mit den Medien zusammen. Es macht eben einen Unterschied, ob ich eine Person vor mir habe oder nicht. Von Angesicht zu Angesicht traut man sich nicht, die ganz üblen Gedanken auszusprechen. Denn so hat man gleich ein Gefühl dafür, ob man eine Grenze überschritten hat, weil man die Reaktion des anderen sieht.

Und durch die Distanz fällt diese weg.

Ganz genau. Menschen geben im digitalen Raum Dinge von sich, die sie normalerweise niemals aussprechen würden. Und ein zweiter Punkt ist in Sachen Mobbing entscheidend: die Nachhaltigkeit. Wenn man im Streit einen Freund oder Mitschüler eine Beleidigung an den Kopf wirft, ärgert man sich fünf Minuten später über sich selbst und nuschelt am nächsten Tag eine Entschuldigung. Bei Foren aber ist es so: Wenn da etwas steht, steht es da. Die Beleidigung sieht man heute und morgen und in fünf Tagen. Einmalige Entgleisungen gibt es nicht mehr.

Können Sie erklären, was digitale Fürsorgepflicht ist?

Der Begriff stammt von der Drogen- und Suchtbeauftragen der letzten Bundesregierung. Er tauchte auf mit der Veröffentlichung der Blikk-Studie. Vielen Eltern ist nicht klar, dass sie diese Fürsorgepflicht für ihr Kind haben. Wer seinem Kind ein Internetgerät zur freien Verfügung stellt und sich danach in keinster Weise darum kümmert, was sein Kind damit macht, verletzt die digitale Fürsorgepflicht. Dies sehen die Gerichte mittlerweile genauso, denn wie schon gesagt, die Geräte laufen bis 16 Jahre über die Eltern.

Was empfehlen Sie noch fürs Familienleben?

Bei gemeinsamen Mahlzeiten wird das Smartphone weggepackt. Auch Vati und Mutti dürfen nicht draufschauen. Wenn wir das nicht tun, denken die Kinder: Ohne Smartphone geht es nicht, und zwar vom Aufstehen bis zum Schlafengehen. Eltern müssen sich ihrer Vorbildfunktion viel stärker bewusst werden. Was Kinder zu Hause erleben, ist für sie Normalität.
Was auch wichtig ist: Eltern sollten klare Mediennutzungszeiten vorgeben. Internetfähige Geräte haben nachts im Jugendzimmer nichts verloren. Die Geräte werden ausgeschaltet und in die Küche gelegt. Das fördert die Gesundheit des Schlafes und die Lernfähigkeit. Es ist gesund für Menschen, wenn sie feste Zeiten haben, in denen sie nicht erreichbar sind: Mittagessen, Abendessen, Nachtruhe. Firmen führen nicht ohne Grund den emailfreien Freitag ein. Permanente Erreichbarkeit führt nicht zur Steigerung der Produktivität, sondern ins Gegenteil.

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Wie reagieren Schüler, wenn Sie ihnen sagen, dass sie auf Klassenfahrt kein Smartphone mitnehmen dürfen?

Geben Sie mir mit einer achten Klasse eine Doppelstunde und die Schüler sehen es als tolle Herausforderung, eine Woche ohne Handy zu sein. Für sie ist das ein reales Sozialevent. Allerdings: Um die Eltern zu überzeugen, brauche ich drei Elternabende. Die sehen erst mal nicht ein, weshalb sie ihr Kind eine Woche lang nicht erreichen können.

Haben Sie auch schon mal mit Schülern über Handyverbote an Schulen gesprochen?

Interessanterweise haben die Schüler gar nicht so ein Problem damit. Von alleine würden sie allerdings nicht auf die Idee kommen, das Smartphone wegzulegen. Aber wenn die Schule das vorgibt, können die Jugendlichen das so an ihren Freundeskreis kommunizieren. Es ist wie eine äußere Hilfestellung: Sie verlieren nicht ihr Gesicht, wenn sie mal nicht erreichbar sind. Und so funktioniert Handyfasten für Schüler richtig gut.

Sind auch die sozialen Medien in Ihrer Arbeit ein Thema?

Uwe Buermann
Uwe Buermann

Durchaus! Auf der einen Seite ist es schön, wenn ich der Welt etwas mitteilen kann und Zuspruch bekomme. Positiv ist es dann, wenn ich wirklich authentisch bin. Negativ wird es, wenn die Nutzer sich verbiegen, um mehr „Likes“ oder „Follower“ zu generieren. Sie passen ihre Persönlichkeit Schritt für Schritt der Meinung des Internets an. Für Kinder und Jugendliche kann das ein verhängnisvolles Problem werden. Sie befinden sich schließlich in einer Phase, in der sie auf der Suche nach der eigenen Identität sind. So passiert es, dass gerade Mädchen und junge Frauen in ihrer Darstellung immer freizügiger werden. Weil sie gelernt haben, dass sie dadurch mehr Aufmerksamkeit bekommen. Auch Erwachsene sind von diesem Prozess übrigens nicht gefeit. Man sollte schon eine gestandene Persönlichkeit sein, bevor man sich im Internet präsentiert.

Zur Person

Uwe Buermann arbeitet seit 22 Jahren als pädagogisch-therapeutischer Medienberater in verschiedenen Einrichtungen, aber vor allem in Schulen und mit Schülern, Studenten, Eltern sowie Lehrern. Er hält Vorträge und gibt Seminare zum Thema. Mehr Infos gibt es auf seiner Seite.

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