Diskussion

Macht die Digitalisierung der Bildung alles besser – oder noch schlechter?

Die Debatte um digitale Bildung ist oft heftig – bei dieser Diskussion zeigt sich das mal wieder deutlich.

Immer mehr Aspekte des Lebens werden vom digitalen Wandel erfasst. In zahllosen Situationen kommen Menschen heute schon mit Software und Digitaltechnik in Berührung, bewusst oder unbewusst. Dieser Wandel erfasst auch die Bildung. Lehrer entwickeln Konzepte, digitale Ansätze in ihre Klassenzimmer zu bringen. Unternehmen drängen mit digitalen Angeboten in die Schulen. Und Wissenschaft und Politik diskutieren kontrovers, wie Bildungseinrichtungen am besten auf die Umbrüche reagieren sollten.

Angesichts neuer digitaler Möglichkeiten wie Online-Vorlesungen oder dezentralem Lernen erhoffen sich viele Beobachter eine Demokratisierung der Bildung. Besser verfügbare, günstigere Angebote, so die Erwartung, könnten weltweit mehr Kinder mit Bildungsangeboten in Kontakt kommen lassen. Skeptiker fürchten das Gegenteil. Neue, teure Technik und dafür nötige Fähigkeiten könnten, so die Befürchtung, den Graben zwischen Kindern aus verschiedenen Bildungsschichten noch weiter vertiefen.

Zu diesem Thema kamen beim Veranstaltungsforum der Holtzbrinck Publishing Group in Berlin profilierte Stimmen der Branche zusammen. App-Camps-Gründerin Diana Knodel, der Medienpädagoge Ralf Lankau und Hila Azadzoy von Kiron Open Higher Education diskutierten unter der Fragestellung „Digitalisierung der Bildung. Demokratisierung oder Ausgrenzung?“.

„Wenn Kinder Medienkompetenz nicht von zuhause mitbekommen, sollten sie es in der Schule lernen.“ Diana Knodel, Gründerin App Camps

Diana Knodel hob in ihrem Impulsreferat hervor, dass Themen wie Technik und Programmierung heute vor allem außerschulisch vermittelt würden. Ihrer Erfahrung nach seien bei solchen Angeboten sehr viele männliche Gymnasiasten anzutreffen. Mädchen sowie Kinder und Jugendliche aus anderen Schulformen und Bildungshintergründen gerieten so bei technischen Themen ins Hintertreffen. Ihr Lösungsansatz: „Themen wie Programmieren und Technik müssen in den Schulen stattfinden.“ Nur so, argumentierte Knodel, können alle Kinder die Chance bekommen, ihre Potenziale zu entdecken und ein digitales Grundverständnis entwickeln. Aus diesen Erwägungen heraus hat Knodel gemeinsam mit ihrem Mann die Initiative App Camps gegründet, die Lehrern kostenlose Unterrichtsmaterialien etwa zur App-Programmierung zur Verfügung stellt. Zugleich plädierte Knodel auch für mehr Medienbildung im Klassenzimmer. „Wenn Kinder Medienkompetenz nicht von zuhause mitbekommen, sollten sie es in der Schule lernen.“

Medienpädagoge Ralf Lankau kritisierte den Ansatz, digitale Endgeräte und Themen wie Programmieren bereits in der Grundschule zu thematisieren. „Apps programmieren ist wie Malen nach Zahlen“, kritisierte Lankau, Bildschirme hätten gerade in der Grundschule nichts zu suchen. Knodel widersprach entschieden: Auch digitales Tüfteln könne kreativ sein und Begeisterung auslösen. Gerade durch einen spielerischen Ansatz gelinge es, Kinder an technische Fragestellungen heranzuführen. In der vierten Klasse erlebe sie bei Mädchen noch keine Vorbehalte, in der achten Klasse seien Schülerinnen schon oft nicht mehr für mathematisch-naturwissenschaftliche Themen zu begeistern, berichtete Knodel.

Auch Hila Azadzoy von Kiron Open Higher Education (ehemals Kiron University) setzte sich in der Diskussion für digitale Medien in der Bildung ein. Das Unternehmen bietet Geflüchteten auf einer Plattform virtuelle Lernumgebungen, später können die Teilnehmer an deutsche Partnerhochschulen wechseln. „Digitale Medien schaffen flexible und individuelle Zugänge zu Bildung“, sagte Azadzoy. So ermögliche die Kiron-Plattform Geflüchteten einen digitalen Zugang zu einem Studium. Eine große Chance, argumentierte Azadzoy, schließlich seien mehr als 100.000 Geflüchtete in Deutschland studierfähig, die wenigsten von ihnen lebten aber in einer Universitätsstadt. „Ein digitaler Zugang ist für manche Menschen der einzige Zugang zu Bildung. So kann Teilhabe gelingen.“

In der Debatte über digitale Bildung muss viel mehr differenziert werden. Es gibt verschiedene Teilbereiche und die müssen auch getrennt diskutiert werden! Manuel Dolderer, Gründer Code University

Ralf Lankau wies darauf hin, dass bei Lernangeboten wie etwa von Fernuniversitäten eine menschliche Betreuung essentiell für den Studienerfolg sei. Die wenigsten Studierenden, so Lankau, seien derart motiviert, dass sie ein Angebot wie einen MOOC (massive open online course, eine im Netz abrufbare Vorlesungsreihe zum Selbststudium) erfolgreich abschließen könnten. Lankau diagnostizierte zudem einen „Hype“ rund um digitale Technik. „Jede neue Medientechnik, Sprachlabore, Laptops, Tablets, werden mit Gewalt in die Schulen hineingedrückt“, kritisierte er. Treiber dieser Entwicklung seien ein kleiner Teil der Wirtschaft, Getriebene der Entwicklung seien Politik und die Schulen.

Aus dem Publikum meldete sich Manuel Dolderer zu Wort, der in Berlin derzeit die Code University gründet. Er forderte die Diskussionsteilnehmer auf, viel mehr differenzieren und verschiedene Teilbereiche digitaler Bildung auch getrennt zu diskutieren. In der Schulbildung könne es erstens darum gehen, Kindern Medienkompetenz zu vermitteln. Zweitens könne es darum gehen, digitale Medien in der Bildung gezielt einzusetzen, etwa ein Lehrvideo auf Youtube abzuspielen. Drittens und davon unabhängig sei die Frage, inwieweit Kinder und Jugendliche in der Schule mit Grundlagen von Software und Programmierung in Kontakt kommen sollten. Diese verschiedenen Aspekte würden etwa von Ralf Lankau in einen Topf geworfen, kritisierte Dolderer.

Einigen konnten sich die Diskussionsteilnehmer immerhin darauf, wie man an Medien herangehen sollte. Ralf Lankau forderte, sich immer wieder auf den Werkzeugcharakter von Medien und Technik zu besinnen. Auch Diana Knodel nutzte das Bild des Werkzeugs: „Wenn man Medien als Werkzeug begreift, kann man sehr kreativ sein.“

Zum Weiterlesen

Interview: In diesem Gespräch mit Coding Kids führt Professor Ralf Lankau seine Kritikpunkte im Detail aus.

Meinung: App-Camps-Mitgründer Philipp Knodel erläutert in diesem Gastbeitrag den Grundgedanken der Initiative.

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