Lehrer Carsten Reichert holt seine Schüler dort ab, wo sie ohnehin schon sind.
Redaktion 22. Februar 2017
An zahllosen Orten Deutschlands bringen Lehrerinnen und Lehrer digitale Inhalte und Ansätze in die Klassenzimmer. In der Serie „Das Vorbild" stellt Coding Kids Pädagogen und ihre ausgewählten Projekte vor. Der Lehrer Carsten Reichert experimentiert in seinem Unterricht mit digitalen Inhalten und Methoden. Hier erklärt er, was ihn antreibt, welche Chancen er in digitaler Bildung sieht – und wie er WhatsApp in seinen Unterricht bringt, um Kinder auf Chancen und Risiken des Messengers vertraut zu machen. Ein Interview über seine Erfahrungen.
Herr Reichert, wie nutzen Sie digitale Inhalte und Techniken im Unterricht?
Ich versuche, digitale Medien als Werkzeuge im Unterricht einzusetzen – nicht als Selbstzweck oder didaktisch-pädagogisches Feuerwerk. Dafür sind sie nämlich nicht geeignet bzw. bringen hierfür auch keinen Mehrwert. Insofern kommt es auf das Setting an, in dem Medien gefordert sind. Das kann – ganz banal – das Verfassen von Texten oder Präsentationen sein oder eben die klassische Recherche. Allerdings wird die Arbeit mit Medien erst spannend, wenn echte Schülerprodukte entstehen, also ein Blog, ein Podcast oder ein Video. Hier setzen Lernende beinahe ungeahnte Kreativität frei.
Und daneben sind Medien eben auch ein Teil meiner Medienerziehung. Jenseits dessen, dass ich versuche, sie als Produkte in den Blick zu nehmen, muss ich auch Kompetenzen im Umgang mit ihnen vermitteln: Wie sieht es mit Fragen des Datenschutzes und Urheberrechtes aus, wo liegen die Tücken sozialer Netzwerke, wie verhalte ich mich im Netz oder mit digitalen Endgeräten in der analogen Welt etc.? Darauf vermögen Elternhäuser häufig keine Antworten zu liefern. Und außerhalb der Schule wird immer mehr vorausgesetzt, dass diese Fähigkeiten vorhanden sind. Auch deshalb müssen Medien integraler Bestandteil schulischer Bildung sein, wie zuletzt die Kultusministerkonferenz an prominenter Stelle festgestellt hat.
Auf welches Projekt sind Sie besonders stolz? Was ist Ihnen dabei geglückt?
Da gäbe es jetzt eine ganze Reihe zu nennen. Im Bereich der Produktion von Videos sind es verfilmte Gedichte oder Erklärfilme zum Scheitern der Weimarer Republik bzw. zur Funktionsweise der Europäischen Geldpolitik. Hier haben wirklich durch die Bank alle Schüler mit großem Eifer gearbeitet.
Zum anderen wäre im Bereich der Medienerziehung eine Einheit zu WhatsApp bzw. Messengern allgemein zu nennen. Hier war spannend, die Schüler – platt gesagt – dort abzuholen, wo sie stehen. Sie nutzen diese Kommunikationskanäle, wissen mit deren Problemen und Auswüchsen aber manchmal nicht umzugehen. Wie sollen sie ein Bewusstsein dafür entwickeln, wie man solche Dinge produktiv und ohne Überforderung nutzt, wenn man ihnen keinen Raum gibt, sich damit auseinanderzusetzen? Konkret habe ich einer Klasse dabei geholfen, Regeln für ihren Klassenchat aufzustellen, Moderatoren zu benennen und deren Autorität zu akzeptieren. Gleichermaßen haben wir Strategien im Umgang mit Beleidigungen, Spam oder angsteinflößenden Inhalten erprobt.
Auf welche Hürden sind Sie dabei gestoßen, woran sind Sie gescheitert?
Nun ja – wir müssen uns als Lehrer daran gewöhnen, dass wir im Bereich der Medienbildung nicht alles auffangen können, was passiert. Vieles geschieht im medialen Raum eben ohne unser Wissen. Außerdem ist es nicht ganz einfach, mit den Entwicklungen Schritt zu halten – also immer auf dem neuesten Stand zu sein. Hat man sich zum Beispiel gerade in WhatsApp eingearbeitet, wird man mit anderen Phänomenen konfrontiert, z.B. Snapchat, Younow etc. Das ist nicht einfach, vor allem wenn die Altersdistanz zu den Schülern größer wird. Zum anderen ist es auch immer eine Frage der medialen Ausstattung an Schulen. Ich kann mich bei uns nicht beklagen, aber in vielen Schulen fehlt einfach die entsprechende Infrastruktur, um medienpädagogisch arbeiten zu können. Dass Schüler ihre eigenen Geräte, die sie ja sowieso mitbringen, nutzen können, scheitert teils auch an den rechtlichen Vorgaben – Stichwort: Handyverbot. Dieses wird zum Teil sehr restriktiv gehandhabt.
Was haben Sie aus dem Projekt mitgenommen – und was können andere Pädagogen daraus lernen?
Ich beschränke mich da jetzt nicht auf ein spezielles Unterrichtsprojekt – ich fasse lieber generell zusammen: Wenn man neue Medien als selbstverständlichen Teil des Unterrichts versteht und nicht als Selbstzweck, dann hat das aus meiner Sicht sehr positive Auswirkungen auf die Motivation der Lernenden, da sie viel weniger rezeptiv agieren müssen, sondern aktiv Dinge gestalten können. Ich habe für mich auch gelernt, dass ich nicht selbst der Technik-Fachmann in allen Fragen rund um Hard- und Software sein muss, denn mit den Schülern an der Seite hat man zig Fachleute im Raum sitzen, die auch Interesse an einem Gelingen haben. Damit verschwimmen auch die klassischen Grenzen zwischen Lehrendem und Lernenden. Darauf muss man sich einlassen – und wird auch selten enttäuscht.
Zur Person
Carsten Reichert ist Lehrer, er unterrichtet die Fächer Deutsch, Geschichte und Politik/Wirtschaft an einem hessischen Privatgymnasium in kirchlicher Trägerschaft. Darüber hinaus ist er schulischer Medienbeauftragter und im Rahmen einer Abordnung ans Staatliche Schulamt auch Fachberater für Medienbildung in seinem Aufsichtsbezirk. Mehr Infos in seinem Blog.