Zeitgemäßes Lernen hat durch Corona ordentlich Fahrt aufgenommen. Wer sich kontinuierlich damit beschäftigt, ist Bildungsexperte Dejan Mihajlović. Wir haben mit ihm ein Kurzinterview geführt.
Sandra Rexhausen 02. April 2020
Hand aufs Herz, kann Deutschland in Sachen digitale Bildung noch aufholen?
Es lohnt sich, einen Blick in andere Länder zu werfen, um sich Impulse einzuholen oder sich zu orientieren, wann und wie Bildung in der Digitalen Transformation gelingt. Etwas aufholen zu wollen, würde bedeuten, Bildung auf das Ziel zu reduzieren, wirtschaftlich global konkurrenzfähig zu sein bzw. zu werden. Dabei müsste spätestens mit dem Klimawandel oder jetzt Coronavirus klar sein, dass Bildung der Schlüssel zu globalem und lokalen Denken, aber auch solidarischem Handeln sein muss. Das würde ich mir zumindest für alle Kinder wünschen.
Welche Tipps kannst Du Eltern geben, die ihrem Kind IT-Fähigkeiten mitgeben möchten?
„Für mich hat es sich bewährt, meinen Kindern nichts aufzudrängen, auch wenn ich etwas noch so sinnvoll oder toll finde.“
Allgemeine Tipps fallen mir schwer, weil allein die Unterschiede in den Voraussetzungen bei Eltern und Kindern sehr groß sind. Für mich hat es sich bewährt, meinen Kindern nichts aufzudrängen, auch wenn ich etwas noch so sinnvoll oder toll finde, sondern sie selbst entdecken zu lassen. Anfangs zeigte ich ihnen dabei meist nur auf, was es für (neue) Möglichkeiten gibt und unterstütze sie, diese zu erkunden, wenn sie sich das wünschten. Mittlerweile lernen wir aber meist mit- und voneinander und ich versuche, ihnen zu verstehen zu geben, wie sehr ich ihre Perspektive und aufgebaute Expertise schätze.
Warum müssen Lehrkräfte vor digitaler Bildung keine Angst haben?
Weil es immer noch um Bildung geht und sie in diesem Bereich Expert_innen sind. Was hinzukommt, ist die Kultur der Digitalität, die es kennenzulernen und zu verstehen gilt. Wenn man sich dabei noch von der Rolle verabschiedet, alles (besser) wissen zu müssen, kann das ein spannender, gemeinsamer Lernprozess für Lehrende als auch Lernende sein, bei dem sich auch die Rollen wechseln können. Das muss und kann auch nicht von heute auf morgen geschehen. Das braucht Zeit, Freiräume und vor allem eine breite und kontinuierliche Unterstützung. Hier ist besonders die Politik gefragt, dafür die Voraussetzungen zu schaffen.
Was fehlt für eine zeitgemäße LehrerInnen-Ausbildung?
„Zeitgemäße Bildung stellt Lernende und ihren Lernprozess in den Mittelpunkt, befähigt sie zur Mündigkeit und Souveränität im kulturellen Wandel der Digitalen Transformation.“
An meinem ersten Tag an der Hochschule besuchte ich eine Vorlesung, bei der gesagt wurde, dass die Vorstellung, was eine gute Lehrkraft auszeichnet, sich nicht mehr durch das Studium gravierend ändern wird. Was man als Schüler_in erfahren hat, prägt den eigenen Unterricht. Deshalb glaube ich, dass die gedankliche Trennung einer Bildungslaufbahn in zeitliche Etappen oder nach Institutionen hier nicht greift. Zeitgemäße Bildung stellt Lernende und ihren Lernprozess in den Mittelpunkt, befähigt sie zur Mündigkeit und Souveränität im kulturellen Wandel der Digitalen Transformation. Das gilt sowohl für die Schule als auch Hochschule.
Was sind denn Berufe mit Zukunft?
Dann pack ich mal kurz meine Glaskugel aus. Einen Moment. Also. Ich denke eigentlich gar nicht in Berufen, wenn es um die Zukunft geht, sondern eher in Kompetenzen und Haltungen. In einer Welt mit steigender Komplexität, scheint z.B. die (erfolgreiche) Kommunikation eine noch bedeutendere Rolle einzunehmen. Auch die Fähigkeiten global und lokal zu denken und zu handeln oder interdisziplinär, multiperspektivisch und kollaborativ zu arbeiten, schätze ich als für die Zukunft bedeutend an, weil wir anders unsere Probleme nicht gelöst bekommen werden. Sich darauf einzulassen, erfordert in noch vielen Bereichen eine Haltungsänderung.
Zur Person
Dejan Mihajlović ist Lehrer an der Pestalozzi Realschule in Freiburg. Zusätzlich arbeitet er als Fachberater für Unterrichtsentwicklung und als SMV-Beauftragter beim Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung Baden-Württemberg. Zum Themenbereich zeitgemäße Bildung in der Digitalen Transformation schreibt er als Kolumnist, gibt Workshops, hält Vorträge, organisiert und moderiert Veranstaltungen und berät Politik und Verwaltung. Netzpolitisch ist er bei D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt im Vorstand.