Unser Autor Fabian Deitelhoff hat die Initiative #wirfürschule begleitet. Als Experte im Themenfeld Verzahnung von Präsenzunterricht und Homeschooling sowie in der Vorjury. Fünf Tage, fünf Eindrücke – und jede Menge Hausaufgaben für alle.
Fabian Deitelhoff 22. Juni 2020
Dass etwas in unserem Schulsystem nicht stimmt, ist keine Überraschung mehr. In fachkundigen Kreisen und bei allen, die tagtäglich in irgendeiner Weise mit dem System Schule zu tun haben, ist das längst bekannt. COVID-19 und die damit einhergehenden Schulschließungen haben darüber hinaus verdeutlicht, dass das Thema Digitalisierung und neues Lernen bei vielen Schulen nicht angekommen ist und generell in den Kinderschuhen steckt. Das heutige Schulsystem, wie wir es kennen, ist mehr oder weniger bei den preußischen Reformen im Jahr 1808 steckengeblieben.
Die Notwendigkeit für Reformen
Es ist Zeit für Reformen auf der großen Bühne, sprich der Bundesebene, die aus vielerlei Gründen nicht einfach umzusetzen sein werden. Allerdings sind sie eine Notwendigkeit, denn die Digitalisierung, die im vollen Gange ist, wurde und wird auf breiter Basis ignoriert beziehungsweise kommt durch nicht passende Rahmenbedingungen nur schleppend voran.
Viele Akteure im Bildungssystem sind frustriert und suchen nach Auswegen. Der #WirVsVirus Hackathon war bereits ein Erfolg. Im März diesen Jahres haben in 48 Stunden über 28.000 Menschen an über 1.500 Lösungen gearbeitet. Nicht primär auf den Bildungssektor fokussiert, aber mit etlichen Projektideen aus den Bereichen Schule, Lehren, Lernen und Digitalisierung. Aus diesem Drang und der Notwendigkeit für Reformen heraus ist der #wirfürschule Hackathon entstanden. Dieser mit einem Fokus auf Bildung und allem, was damit technisch, organisatorisch und politisch zusammenhängt.
Das Format – Was ist ein Hackathon?
Ein Hackathon ist eine Veranstaltung, in der innovative Projekte, neue Ideen und interessante Kontakte geknüpft werden können. Der Name setzt sich aus den Begriffen „Hacking“ und „Marathon“ zusammen. Ersteres ist aber nicht negativ gemeint, sondern bedeutet eher die schnelle und oft prototypische Umsetzung von Ideen, weil die Zeit sehr beschränkt ist. Daher auch das Wort Marathon, denn so ein Hackathon läuft in der Regel eine wohldefinierte Zeitspanne. Zum Beispiel 24 oder 48 Stunden. Im Falle von #wirfürschule waren es fünf Tage. Es heißt also konstant am Ball bleiben, um die Ideen so weit wie möglich umzusetzen oder voranzutreiben.
Eine Woche gemeinsam für neue Lernkultur
Unser Hackathon setzt einen wichtigen Grundstein, eine neue Lernkultur an Schulen zu etablieren und unsere Kinder auf die Welt von morgen vorzubereiten.
Die Initiatoren*innen von #wirfürschule
Die Ziele der #wirfürschule Aktion sind breit gefächert. Das Motto lässt sich aber sehr gut mit dem Satz „Lasst uns gemeinsam Schule verändern!“ beschreiben. Darunter fällt alles, was Lehren und Lernen betrifft, inklusive aller beteiligten Akteure. Zum Beispiel Bildung statt Bulimielernen, Lust am Lernen statt Last mit Lernen und die ganzheitliche Betrachtung von Schule und Fächern. Der Hackathon ist eine bundesweite Initiative von Digitale Bildung für Alle e.V. und der Lehrer*innen-Community von lehrermarktplatz.de.
Eine bundesweite, gemeinschaftliche Initiative
Vom 08. - 12. Juni 2020 sind über 6.000 Menschen online zusammengekommen, um unter der Allianz #wirfürschule gemeinsam Änderungen anzustoßen, zu entwickeln und natürlich umzusetzen. Die Schirmherrschaft hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung, die Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung, Dorothee Bär, sowie die Kultusminister Konferenz (KMK) übernommen. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Unterstützern, wie auch uns vom Coding Kids Magazin.
Die Gruppe der Teilnehmenden war auf verschiedene Rollen verteilt, um die große Menge an interessierten Menschen zu strukturieren. Es gab Teilnehmende, Partner*innen, Coachs und Experten*innen – Jung und Alt gemeinsam. Bei der Anmeldung musste eine Rolle ausgewählt werden, so dass im Hackathon klar war, was die primäre Aufgabe ist.
Die Kommunikation fand vorwiegend über die webbasierte Kommunikationsplattform Slack statt. Der Workspace war in verschiedene Channels aufgeteilt. Der Slack-Workspace bleibt auch über die Hackathon Zeit hinaus bestehen, um den Teams ein Modul für den Austausch und für die Weiterentwicklung zu bieten.
Um die Vielfalt an Ideen und Möglichkeiten, wie Teilnehmende an Themen arbeiten können, zu strukturieren, wurden neun Themenfelder mit unterschiedlichen Herausforderungen aufgestellt. Diese Themenfelder sind:
Die Themenfelder im Fokus
Wir bleiben in diesem Beitrag eng an den Themenfeldern vier, fünf und sechs, die einen großen Impuls Richtung einem veränderten Lernbereich, Zukunftskompetenzen und die soziale Gerechtigkeit in der Bildung geben möchten. Also auf unsere maßgeblichen Coding Kids Themen.
Das Themenfeld vier nennt sich FREI DAY, was ein super Name für die angestrebten Veränderungen ist. Ein Tag pro Woche „frei“ zu haben würde es Schüler*innen ermöglichen, sich selbst für ein Zukunftsthema zu entscheiden, um sich dann selbstständig aber mit der Unterstützung durch Lehrer*innen sowie relevanten Organisationen und Unternehmen, damit zu beschäftigen. Dieses Prinzip wird in der Wirtschaft bei wissensgetriebenen Unternehmen gerne genutzt, um Mitarbeiter*innen Freiraum zu schaffen. Dort ist dieses Modell oft unter dem Namen 4 (+1) bekannt, was zum Beispiel Google, Amazon und die itemis AG nutzen, um Projektideen zu fördern.
Beim Themenfeld fünf, der Zukunftskompetenzen, standen Herausforderungen im Bereich Medienkompetenz, digitale Mündigkeit und Coding ebenso im Fokus wie die Freude und Kompetenz beim Problemlösen, Ausprobieren und die Teamfähigkeit. Das sind alles Skills, die in Zukunft nicht nur im Arbeitsleben von hoher Relevanz sind. Um diese Kompetenzen in Schulen zu verankern, sind Anpassungen bei den Lernerlebnissen sowie kreativer und kollaborativer Unterricht notwendig.
Das Themenfeld sechs steht unter dem Thema der sozialen Gerechtigkeit, was stark geprägt ist durch die Frage, wie Ungleichheiten ausgeglichen werden können. Diese wurden durch COVID-19 und der allgemeinen Digitalisierung noch einmal verstärkt deutlich, da zum Beispiel nicht jeder gleichberechtigt Zugriff auf Endgeräte und der Hilfestellung bei der Nutzung eben dieser hat.
Die Qual der Wahl
Die Bewertung der Projekte durch die Vorjury war spannend, schwierig und sehr aufschlussreich. Insbesondere da die Einreichungen fast alle einen unterschiedlichen Fokus hatten und alle mit unheimlich viel Herzblut und Einsatz ausgearbeitet, aufbereitet und präsentiert wurden.
Die Bewertung
Kurz zusammengefasst ging es für die Vorjury darum, 10-12 Projekte pro Jury-Mitglied zu bewerten. Mehr als 120 Juror*innen waren als Teams aufgestellt, um den insgesamt 240 Einreichungen jeweils genug Bewertungen für einen repräsentativen Durchschnitt zuzuweisen.
Die Projekte (hier primär im Themenfeld sieben „Schulentwicklung und Schulmanagement“) reichten von Challenges auf Instagram bis zu einer Idee, Schulentwicklung mutiger und offener zu gestalten, über eine Plattform für Workshop-Angebote, ausgemusterte Hardware an Schulen/Schüler*innen zu verteilen sowie agile Schulen, Gamification im Unterricht und einer zentralen Schul-App.
Das Finale
Die eingereichten Projekte unterscheiden sich in den Themenfeldern stark, was zum einen durch die unterschiedlichen Ausrichtungen und Herausforderungen, zum anderen aber durch die sehr verschiedenen Arbeitsweisen und Vorgehensweisen der Teams zustande gekommen ist. Die Bewertungen und letztendlichen Vergleiche waren dadurch sehr schwer.
Die Finalisten stehen nun fest. Eine unterschiedliche Anzahl von Projekten wurde in den Themenfeldern ausgewählt. Das hängt mit der Anzahl der eingereichten Projekte zusammen. Für die für uns relevantesten Themenfelder vier, fünf und sechs wurden folgende Projekte ausgewählt:
Hier geht es vermehrt um digitale Themen, die schon früh ins Lernen eingebracht werden sollen, um das Lernen von Skills Schritt für Schritt zu ermöglichen und um das wichtige Thema Datenkompetenz.
Die Barrierefreiheit schlägt hier deutlich durch. Oft geht es um Hardware, die nicht für alle zur Verfügung steht, aber ein wichtiger Aspekt in einer digitalen Welt ist. Kindern in Notsituationen zu helfen, zum Beispiel durch die Möglichkeit anonym schreiben zu können, ist ein ebenfalls wichtiger Ansatz.
Das hat die Woche gebracht
Wir wünschen uns, dass Schule Nutzer-zentriert betrachtet wird, dass die Perspektive der Schüler*innen Relevanz bekommt.
Das Coding Kids Redaktionsteam
Der #wirfürschule Hackathon hat großen Spaß gemacht und ist eine echte Bereicherung. Viele Kräfte sind zusammengekommen, Ideen sind entstanden, wurden weitergedacht und werden hoffentlich weiterentwickelt – selbst wenn es für das Finale nicht gereicht hat. (Verzeichnis aller eingereichten Projekte)
Manchmal war die Kommunikation in den Slack-Channels ziemlich chaotisch, bei der breiten Teilnehmer-Zahl kein Wunder. Klare Regeln, ein Code of conduct, ist generell im (digitalen) Miteinander ein wichtiges Instrument und gibt allen Beteiligten eindeutige Leitlinien vor.
Für alle, die weiter machen möchten, gibt es in Zukunft ähnliche Angebote und Möglichkeiten. Das Barcamp Digitalität20 fand zum Beispiel gerade (20. Juni 2020) statt. In mehreren Sessions wurde zum Thema #Schuleneudenken referiert und diskutiert.
Aktionen wie diese sind wichtig, um gemeinsam eine starke Bildungslobby zu stellen. Denn die Veränderungen sind notwendig.
Die Gewinner*innen von #wirfürschule stehen nun fest (23.6.2020). Wir freuen uns auf die folgenden Taten und arbeiten weiter an der Schule von morgen – heute.