Interview

So machen Smartphones den Unterricht besser

Wie passen denn Physik-Unterricht, Schokoküsse und Smartphones zusammen? Ziemlich gut, das hat der Lehrer Patrick Bronner am Friedrich-Gymnasium in Freiburg bewiesen. Im Interview mit Coding Kids beschreibt er, wie aus einem vierwöchigen Testlauf in einer Klasse ein ganzes Schulprojekt wurde, bei dem Mobiltelefone in vielen Schulfächern eingesetzt werden. Und mit dem nun sogar Siebtklässler eigene Tablets bekommen. Ein Gespräch über Technik in der Schule, Eltern-Sorgen und den Deutschen Lehrerpreis.

Herr Bronner, Sie haben an Ihrer Schule in Freiburg Smartphones in den Unterricht geholt. Warum?

Patrick Bronner
Patrick Bronner

Noch vor zwei Jahren war die Medienausstattung am Friedrich-Gymnasium Freiburg zum Verzweifeln: In den 30 Klassenzimmern standen verstaubte Overheadprojektoren, es gab einen veralteten Computerraum mit 15 Rechnern und sechs meist defekte Beamerwagen. Den Computerraum musste man eine Woche vorher reservieren – meist waren zwei Rechner defekt, fünf Schüler hatten ihre Login-Daten vergessen … An einen spontanen Medieneinsatz war nicht zu denken.

Ich überlegte, warum wir nicht die Mini-Computer nutzen könnten, die durchschnittlich 29 von 30 Schülern einer 8. Klasse sowieso in ihren Taschen haben? Smartphones! Zu Beginn machten wir daraus ein Schülerprojekt: Der Physik-Leistungskurs sollte vier Wochen lang erforschen, was mit mobilen Endgeräten im MINT-Unterricht möglich ist. Die über 60 Smartphone-Experimente wurden schließlich bei einer Ausstellung für Lehrerinnen und Lehrer präsentiert und auf einer Website veröffentlicht. Fachliche Unterstützung erhielten wir durch die Pädagogische Hochschule Freiburg, namentlich von Dr.Vogt und Professor Dr. Maaß.

Das Schülerprojekt war der erste Schritt in Ihrem Medienkonzept. Wie ging es weiter?

Nach der Schülerausstellung (Schritt 1 – Mai 2015) fragten mich viele Lehrerinnen und Lehrer, ob man Smartphones nicht auch im Latein-, Musik- oder Geographieunterricht einsetzen könnte. Vor diesem Hintergrund wurde in der Gesamtlehrerkonferenz entschieden, dass im Rahmen eines Schulversuchs probeweise Smartphones im Unterricht aller Fächer erlaubt werden (Schritt 2 – Schuljahr 2015/16). Nach der positiven Evaluierung des einjährigen Schulversuchs wurden in allen 30 Klassenzimmern Wlan, AppleTV, ein Tablet-Halter und ein Beamer fest installiert (Schritt 3 – Oktober 2016). Aktuell werden alle Lehrerinnen und Lehrer mit eigenen Tablets ausgestattet (Schritt 4 – März 2017). Ab dem Schuljahr 2017/18 erhalten alle Schüler der 7. Klassen im Rahmen des Tablet-Modellversuchs des Kultusministeriums Baden-Württemberg ein eigenes Tablet (Schritt 5).

Warum sind diese Abstufungen aus Ihrer Sicht ideal?

Der kleinschrittige Weg über mehrere Jahre bietet die Möglichkeit, durch unterrichtspraktische Beispiele und Erfahrungen im Klassenzimmer Vorbehalte von Lehrern, Schülern und Eltern gegenüber dem mobilen Lernen und der Technik abzubauen. Gleichzeitig können die neuen Komponenten (Wlan, HDMI-Dongles, MDM-Systeme) schrittweise erprobt, verbessert und an die Nutzung im Klassenzimmer angepasst werden.

„Im Zeitalter von ‘Industrie 4.0’ erleben wir eine Digitalisierung aller Lebens- und Arbeitsbereiche. Die Aufgabe der Schule sollte es sein, die Kinder so gut wie möglich auf diese neuen Herausforderungen vorzubereiten.“ Patrick Bronner

Viele Eltern sehen mit Sorge, dass ihre Kinder ständig am Smartphone hängen. Warum sollten sie nun auch in der Schule Telefone nutzen?

Im Zeitalter von „Industrie 4.0“ erleben wir eine Digitalisierung aller Lebens- und Arbeitsbereiche. Die Aufgabe der Schule sollte es sein, die Schülerinnen und Schüler so gut wie möglich auf diese neuen Herausforderungen vorzubereiten. Dazu gehört der souveräne Umgang mit der digitalen Technik, die Diskussion der Chancen und Risiken sowie das Erlernen von Kompetenzen zum verantwortungsvollen Umgang mit den Medien. Zudem ist im neuen Bildungsplan von Baden-Württemberg die Medienbildung als eigenständige Leitperspektive im Unterricht aller Fächer verankert.

Inwieweit können Tablets und Smartphones den Unterricht „besser“ machen?

Durch den Einsatz von Mobilgeräten im Klassenzimmer lässt sich der Unterricht individualisierter und binnendifferenzierter gestalten. Früher hat der Physiklehrer zum Beispiel frontal an einem kleinen flimmernden Oszilloskop Schallwellen sichtbar gemacht. Heute hat jeder Schüler sein Oszilloskop in Form eines Smartphones in der Hosentasche und kann die Eigenschaften des Schalls in Partnerarbeit oder sogar alleine zu Hause erforschen.

Im Mathematikunterricht ist zum Beispiel eine Binnendifferenzierung über Lernplattformen möglich. Hier sind für jeden Schüler Rechenaufgaben vorhanden, die ihn auf seinem Leistungsniveau individuell fördern. Der Lernprozess beim Lösen der Aufgabe wird dabei digital durch gestufte Hilfen und diagnostische Rückmeldungen konstruktiv unterstützt. Der Lehrer erhält über die Lernplattform einen schnellen Überblick, welche der 33 Schüler die Aufgaben mit welchem Erfolg erledigt haben und wo individuelle Wissenslücken geschlossen werden müssen.

Was waren die größten Hürden bei dem Projekt? Wie konnten Sie sie überwinden?

Am Anfang war vor allem die Diskussion um gesundheitliche Risiken durch die Wlan-Strahlung eine große Herausforderung. Wir haben daher Möglichkeiten gesucht, die Strahlenbelastung im Schulgebäude so gering wie möglich zu halten: Jedes Wlan-Gerät in den 30 Klassenzimmern wurde mit einem Schalter ausgestattet und darf nur dann im Unterricht aktiv sein, wenn es für den Unterrichtseinsatz erforderlich ist. Zudem wurde die Sendeleistung aller Wlan-Access-Points so weit reduziert, dass eine Strahlung nur im nahen Umkreis des Klassenzimmers vorhanden ist. Bei eingeschaltetem Wlan-Gerät können die Schüler ohne die Freigabe durch den Lehrer das Internet nicht nutzen.

„An unserer Schule arbeiten die Schülerinnen und Schüler in Klasse 5 und 6 weiterhin ganz klassisch und nutzen Hefte, Bücher und Stifte.“ Patrick Bronner

Eine weitere Hürde ist die Finanzierung der Lehrer- und Schüler-Tablets. Wir planten zunächst ein Bring-Your-Own-Device-Modell mit einem einheitlichen Betriebssystem und Geräten (Lehrer: iPad Pro, Schüler: iPad Air II). Die Eltern sollten dabei 50 Prozent der Kosten des Tablets selbst finanzieren – dafür gehört das Gerät jeder Familie persönlich und es müssen dadurch keine privaten Zweitgeräte angeschafft werden. Uns erschien dieser Ansatz sowohl von den Ressourcen als auch pädagogisch, verwaltungs- und versicherungstechnisch am geeignetsten. Leider hat sich gezeigt, dass dieser Finanzierungsvorschlag zu den bisherigen Verwaltungsstrukturen des Schulträgers noch nicht passend ist und momentan in dieser Form nicht umgesetzt werden kann.

Einige Beobachter kritisieren den Trend, Kinder immer früher mit digitalen Technologien zu konfrontieren. Was ist Ihre Antwort?

Der Einsatz von mobilen Endgeräten im Klassenzimmer sollte vom Entwicklungsstand der Kinder und somit von der Klassenstufe abhängig sein. An unserer Schule arbeiten die Schülerinnen und Schüler in Klasse 5 und 6 weiterhin ganz klassisch und nutzen Hefte, Bücher und Stifte. Die Lehrer bedienen sich zur Stoffvermittlung der Vielfalt der Medien zum Beispiel durch den Einsatz des Lehrer-Tablets. Ab der Klassenstufe 7 steht bei den Schülerinnen und Schülern im Rahmen des Modellversuchs neben den traditionellen Lernmitteln auch differenziertes und selbstständiges Arbeiten mit Tablets auf dem Programm. In den Klassenstufen 8-12 ohne Tablets können die schülereigenen Smartphones im Unterricht eingesetzt werden. Wichtig ist bei uns auch, dass der Einsatz von mobilen Endgeräten auf den Unterricht beschränkt ist. In den Pausen und im Schulgebäude ist das Smartphone für alle Klassenstufen verboten.

Sind Smartphones und Tablets ein Allheilmittel für guten Unterricht?

Der Einsatz von Smartphones und Tablets ist nur eine von vielen weiteren Möglichkeiten, um guten Unterricht noch besser zu machen. Entscheidend ist, mit welchem fachlichen, methodischen und didaktischen Anspruch die Lehrerinnen und Lehrer die Geräte im Unterricht einsetzen. Im Rahmen des Modellversuchs des Kultusministeriums wird durch das Hector Institut für Bildungsforschung evaluiert, wie sich das Lernen mit Tablets auf die Motivation, die Leistungsbereitschaft und den Wissenszuwachs von Schülern auswirkt. Wir hoffen, dass sich am Ende sowohl ein medienspezifischer als auch ein fachlicher Mehrwert zeigen wird.

Was sollten schon die Eltern tun, um ihre Kinder auf den digitalen Wandel vorzubereiten?

Die Eltern sollten beim Umgang mit dem eigenen Smartphone ein Vorbild sein und ganz klare Grenzen setzen. Bei mir zu Hause sind zum Beispiel die Essenszeiten und der Urlaub smartphonefrei.

Zur Person

Dr. Patrick Bronner ist Lehrer am Friedrich-Gymnasium Freiburg, Fachberater in der Schulaufsicht für das Fach Physik am Regierungspräsidium Freiburg und Lehrbeauftragter am Seminar für Didaktik und Lehrerbildung Freiburg. Neben der Medienpädagogik beschäftigt er sich mit den Themen Differenzieren, forschendem Lernen sowie einer qualitativen Vermittlung der Quantenphysik. Für die Entwicklung des Medienkonzepts seiner Schule erhielt Bronner den Deutschen Lehrerpreis 2016 in der Kategorie „Unterricht innovativ“. Auf dieser Homepage hat Bronner das Medienkonzept mit über 60 Smartphone-Experimenten im Unterricht zusammengefasst.

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