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Vorbild

„Man muss den Schülern nicht immer einen Schritt voraus sein“

Kreativität, Kollaboration, Kommunikation und kritisches Denken: Sonderschullehrer Tilo Bödigheimer bietet mit digitalen Medien passende Zugänge für seine Schüler an.

An zahllosen Orten Deutschlands bringen Lehrerinnen und Lehrer digitale Inhalte und Ansätze in die Klassenzimmer. In der Serie „Das Vorbild“ stellt Coding Kids Pädagogen und ihre ausgewählten Projekte vor. Sonderschullehrer Tilo Bödigheimer von der Hardbergschule in Mosbach unterrichtet Schüler mit besonderem Förderbedarf. Schon früh erkannte der Konrektor, wie Technik die Motivation seiner Schülerinnen und Schüler steigern kann. Der Umgang mit digitalen Technologien gehört für ihn heute zum Unterricht dazu – so haben seine Schüler etwa schon Kurzvideos als Versuchsbeschreibung in Physik erstellt oder in Geschichte das Holocaustdenkmal in Berlin virtuell mit VR-Brillen besucht. Ein Interview über seine Erfahrungen.

Herr Bödigheimer, wie nutzen Sie digitale Inhalte und Techniken in der Praxis?

Tilo Bödigheimer
Tilo Bödigheimer

Kreativität, Kollaboration, Kommunikation und kritisches Denken sind vier Bereiche, zu denen ich mit digitalen Medien passende Zugänge für meine Schüler anbieten kann. So erstellen die Schüler zum Beispiel Kurzvideos als Versuchsbeschreibung in Physik, besuchen im Fach Geschichte virtuell das Holocaustdenkmal in Berlin mit VR-Brillen, sammeln kollaborativ ihr Vorwissen zu einem Thema in einer digitalen Mindmap, erstellen kleine Erklärvideos in Mathematik und teilen diese mit QR-Codes oder bauen virtuell mit dem Spiel Minecraft Teile des römischen Limes nach.

Ich versuche in meinem Unterricht immer neue Möglichkeiten und Wege zu finden, um meinen Schülern Inhalte zu vermitteln und sie für das jeweilige Thema zu motivieren. Die Motivation ist meiner Erfahrung nach dabei insbesondere in meiner Schulart der Schlüssel zum Erfolg. Sind die Schüler motiviert, dann sind sie auch bereit die nötigen Anstrengungen auf sich zu nehmen, um das Lernziel zu erreichen. Digitale Inhalte und Techniken ermöglichen es mir im besonderen Maße, die Motivation der Schüler zu steigern und aufrecht zu erhalten. Dabei möchte ich nicht einfach nur Altbekanntes digitalisieren und z.B. die Arbeitsblätter lediglich als PDF auf den Tablets ausfüllen lassen. Ich möchte vielmehr die digitalen Medien nutzen, um neue Lernanlässe und Lernmöglichkeiten zu schaffen, die so bisher noch nicht möglich waren.

Wie reagieren die Schüler auf Ihren digitalen Unterricht?

„Der Motivationseffekt bei Schülern kann sehr groß sein, wenn man digitale Medien sinnvoll einsetzt.“ Tilo Bödigheimer

Die Schüler sind besonders motiviert bei der Arbeit. Vor allem, wenn die digital erstellten Ergebnisse (Filme, Podcasts, Ebooks, Erklärvideos) auch auf der Schulhomepage oder Youtube veröffentlicht werden. Bei einem der etwas umfangreicheren Minecraft-Projekte im Fach Mathematik haben mich die Schüler an einem Freitag in der letzten Schulstunde sogar mal im Lehrerzimmer abgeholt, weil ich etwas verspätet war. Sie wollten endlich mit dem Mathematikunterricht anfangen. Das ist mir bisher noch nicht passiert, zumindest nicht an einem Freitag in der letzten Unterrichtsstunde. Aber genau das zeigt mir immer wieder, wie groß der Motivationseffekt sein kann, wenn man digitale Medien sinnvoll einsetzt. Kompetenz, Autonomie und soziale Eingebundenheit. Das sind laut der Selbstbstimmungstheorie nach Deci/Ryan drei wichtige psychologische Grundbedürfnisse. Und je besser diese Grundbedürfnisse befriedigt sind, desto höher ist die intrinsische Motivation bei den Schülern, eine Aufgabe zu erfüllen, bzw. sich für das Erreichen eines Zieles anzustrengen. Und genau diesen Grundbedürfnissen kann ich mit dem Einsatz von digitalen Medien in besonderem Maße nachkommen.

Auf welches digitale Projekt sind Sie besonders stolz?

Im bereits angesprochenen Minecraft-Projekt im Fach Mathematik wurde das Thema Längenmaße/Maßeinheiten wiederholt. Hierfür haben die Klasse und ich uns entschieden, das Spiel Minecraft zu nutzen. Zunächst vergrößerten die Schüler den Grundriss unserer Schule mittels Beamer auf mehrere aneinandergeklebte Flipchartpapiere. Dann teilten sie sich in mehrere Gruppen auf und vermaßen das komplette Schulgebäude, innen wie außen. Ich hatte es bis zu diesem Zeitpunkt noch nie erlebt, dass sich Schüler mit einer solchen Begeisterung an das Vermessen von Räumen und Gängen gemacht haben. Mit dem Messen kamen dann auch die Fragen nach dem Maßstab und der Umrechnung der Längenmaße für den Bau des Schulhauses in Minecraft auf. Der eigentliche Nachbau in Minecraft erfolgte dann kollaborativ in Kleingruppen und das beste Ergebnis wurde zum Ende des Projekts als Youtube-Film online gestellt.

Insgesamt wurde in diesem Projekt weitaus mehr als „nur“ Mathematik und der Umgang mit Längenmaßen und Maßeinheiten behandelt. Die räumliche Vorstellungskraft der Schüler wurde geschult und vor allem mussten kontinuierlich Absprachen getroffen und Kompromisse gefunden werden, was wiederum die Teamfähigkeit und die Kommunikationsfähigkeit förderte.

Auf welche Hürden sind Sie dabei gestoßen?

Der technische Aspekt der Vernetzung der Minecraft-Apps auf den Schüler-iPads untereinander stellte kein Problem dar. Hierfür mussten sich die iPads nur im selben WLAN-Netzwerk befinden. Schwieriger war für mich persönlich, dass ich mich mit der eigentlichen Spielmechanik des Spiels noch nicht umfänglich auskannte. So konnte ich viele Fragen der Schüler, die Minecraft bisher noch nicht kannten, nicht beantworten. Aus dieser anfänglich als Hürde betrachteten Unwissenheit ist aber relativ schnell eine wertvolle Chance entstanden: Einige der Schüler in der Klasse kannten sich nämlich sehr gut mit Minecraft aus und nahmen bald schon eine Expertenrolle im Projekt ein. Auch ich wendete mich bei Fragen zur Spielmechanik oft an diese Experten. Die klassischen Rollen des Unterrichts - Lehrer und Lernender - wurden dabei getauscht, bzw. teilweise sogar aufgelöst, wenn man gemeinsam nach einer Lösung eines Problems suchte. Für mich als Lehrer und auch für meine Schüler eine wirklich bereichernde Erfahrung.

Was haben Sie aus dem Projekt mitgenommen – und was können andere Pädagogen daraus lernen?

Ich habe aus diesem Projekt gelernt, dass es sich auszahlen kann, wenn man auch mal ein Risiko eingeht. Für mich bestand das Risiko darin, dass etwa die Hälfte der Schüler wesentlich kompetenter im Einsatz von Minecraft war als ich. Außerdem hatte ich bisher noch nie versucht, Minecraft im Mathematikunterricht einzusetzen. Das Lernen von und mit den Schülern und später auch das gemeinsame Suchen nach Lösungen zu Problemen (z.B. wie baue ich die Tafeln der Klassenzimmer in Minecraft nach?), hat mich und die Schüler bereichert. Mittlerweile probiere ich mit meinen Klassen auch gemeinsam neue Apps aus, um sie auf ihre Tauglichkeit für den Einsatz in unserem Unterricht zu untersuchen. Das ist meiner Meinung nach ein Punkt, den man generell beim Einsatz von digitalen Medien beherzigen sollte: Man muss seinen Schülern nicht zwingend immer einen Schritt voraus sein. Ab und zu auch mal gemeinsam etwas Neues zu lernen und sich selbst mit den Schülern als Lernender zu erfahren ist etwas, das mich persönlich sehr bereichert hat.

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