Immer wieder taucht es in der Diskussion auf: Das böse Internet, vor dem wir unsere Kinder warnen und am besten fernhalten sollten. Weit fernhalten. Und wenn wir dann noch unsere Augen schließen, die Ohren zuhalten und lange genug warten, dann ist das Internet wieder gut und der digitale Wandel ausgesessen. Das wird aber so nicht klappen. Denn anstatt Kinder von digitalen Geräten fernzuhalten und sie 12 Jahre lang über Risiken aufzuklären (wie es zum Beispiel der Buchautor und Professor für Digitale Medien Gerald Lembke fordert), sollten wir ihnen ein Grundverständnis vermitteln. Nur dann können sie Risiken und Chancen selbst einschätzen.
Wie schafft man es, dass junge Menschen einen sinnvollen Umgang mit der digitalen Welt lernen? Ich glaube: Indem man ihnen die Möglichkeit gibt, digitale Themen zu verstehen und konstruktiv zu nutzen. Wenn junge Menschen einmal selbst eine App programmiert oder eine Webseite entwickelt haben, verstehen sie wichtige Hintergründe. Kinder sollten wissen, wie Software funktioniert und was Konzepte der Informatik sind. Sie sollten begreifen, was eigentlich Daten sind, wie diese Daten gespeichert werden, wie man sie nutzen kann – und wie man sie vor den Augen anderer schützen kann. Sie sollten auch wissen, was Algorithmen sind, warum Zugriffsrechte von Apps wichtig sind oder welche Inhalte aus dem Internet frei verwendet werden dürfen.
Solche Grundkenntnisse halte ich für elementar. Natürlich können Kinder und Jugendliche dann noch nicht programmieren. Aber darum geht es auch nicht. Sie bekommen ein grundlegendes Verständnis, wie Software entsteht, was die Chancen und was die Risiken sind.
Es geht nicht darum, Massen von Programmierern auszubilden
Aus dieser Überzeugung heraus haben wir unsere gemeinnützige Organisation App Camps gegründet. Mit ihr unterstützen wir Lehrerinnen und Lehrer dabei, digitale Themen zu unterrichten. Aktuell gibt es bei uns Kurse zur Entwicklung von Apps und Webseiten mit HTML und CSS sowie Kurse für Scratch und den Minicomputer Calliope Mini. Lehrunterlagen zu Fake News und Social Bots, Datenbanken oder Datensicherheit erarbeiten wir gerade.
Nicht alle Lehrkräfte wollen und können solche Themen unterrichten. Aber wir wollen es interessierten Lehrkräften so einfach wie möglich machen. Unser Anspruch ist, dass auch Lehrkräfte ohne Informatikstudium unsere Unterlagen gut einsetzen können. Unsere Unterrichtsmaterialien werden in den Fächern Informatik und Medien genutzt, aber auch im Biologie- oder im Kunstunterricht. Lehrkräfte können sich selbstständig in einer Online-Fortbildung einarbeiten, es gibt aber auch regelmäßig Präsenz-Fortbildungen an verschiedenen Standorten. Das Interesse ist groß – mehr als 1.500 Lehrkräfte aus allen Bundesländern, Österreich und der Schweiz nutzen die Unterlagen bereits.
„Natürlich müssen wir nicht Latein abschaffen, alle Bücher rauswerfen oder alle Kinder zu Codern machen. Es geht darum, Zugänge zur digitalen Welt zu öffnen.“
Philipp Knodel
Diese absoluten Zahlen freuen uns sehr. Noch ermutigender ist für uns die Wirkung der Kurse auf die Kinder und Jugendlichen: Über 70 Prozent der Schüler wollen nach den Kursen noch mehr über Themen rund um Programmierung wissen. Besonders bei Teilnehmern ohne Vorkenntnisse zeigen sich positive Wirkungen: Das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und das Interesse an digitalen Themen steigt, Jugendliche haben Lust, eigene Ideen umzusetzen. Das sind tolle Ergebnisse – gerade vor dem Hintergrund, dass unter den Teilnehmern ohne Vorkenntnisse überdurchschnittlich viele bildungsbenachteiligte Jugendliche und überdurchschnittlich viele Mädchen sind. Für diese Kinder und Jugendlichen ist es eine große Chance, diesen Bereich zu erleben und Fähigkeiten zu lernen.
Warum ist das wichtig? Es geht nicht darum – wie etwa Gerald Lembke sagt – Kinder und Jugendliche massenhaft zu Programmierern auszubilden. Kinder können mit Computer, Tablet und Smartphone mehr lernen als eine „hohe Wischkompetenz“. Sie brauchen grundlegende digitale Fähigkeiten, die über das reine Bedienen von Apps und Smartphones hinausgehen. Den Zugang zu diesem Wissen brauchen aber alle jungen Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft, unabhängig von ihrer sozialen Herkunft. Deshalb gehören diese Inhalte in meinen Augen gerade in die Schulen und dürfen nicht nur außerschulisch vermittelt werden.
Natürlich bedeutet das nicht, dass wir dafür Latein abschaffen müssen, alle Bücher rauswerfen oder alle Kinder zu Codern zu machen müssen. Es geht darum, Zugänge zur digitalen Welt zu öffnen. Bisher geht es in der Debatte um digitale Bildung aber meistens nur um entweder – oder. Entweder Computer oder Bücher. Entweder Wlan oder Sanierung von Schulklos. Entweder Informatik oder Latein. Entweder Chancen oder Risikoaufklärung. Entweder digitale Fähigkeiten oder Internetsucht. Entweder Smart Schools oder digitalfreie Räume.
Damit kommen wir aber nicht weiter. Es wird Zeit, über die Dinge dazwischen zu reden – über Inhalte und wie digitale Themen sinnvoll vermittelt werden können. Die Frage sollte sein, wie wir Kinder darauf vorbereiten können, digital mündig zu werden. Also konstruktiv UND kritisch die digitale Zukunft gestalten können. Denn mit Augen zudrücken kommen wir nicht weiter – verschwinden werden das Internet und digitale Technologien nicht mehr.
Zur Person
Philipp Knodel forschte an den Universitäten Bremen und Oxford zum Wandel von Bildung und entwickelte Lehrkonzepte. Gemeinsam mit seiner Frau Diana gründete er App Camps in Hamburg. Die Initiative entwickelt Unterrichtsmaterialien für Lehrkräfte zu Informatik und anderen digitalen Themen. Kernstück ist eine Online-Plattform mit Unterrichtsinhalten für Lehrkräfte. Ziel ist es, allen Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, digitale Ansätze auszuprobieren.
Die Unterrichtsinhalte von App Camps sind für Lehrkräfte kostenlos. Über eine Online-Plattform bekommen Lehrer Zugang zu Unterlagen und Schulungsinhalten. Aktuell gibt es Kurse zu App-Entwicklung, Webseiten entwickeln mit HTML und CSS, Scratch und Calliope mini. Kurse zu Themen wie Social Bots und Datensicherheit sind in Planung.