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Meinung

„Digitale Medien sind genauso wichtig wie Baumhäuser.“

Unsere Autorin findet, dass Smartphones und Computer genauso zur Welt der Erwachsenen gehören wie zur Welt unserer Kinder. Die Kids von all dem auszuschließen, wäre nicht fair. Ein Plädoyer fürs gemeinsame Entdecken neuer Welten.

Wer Eltern nach der idealen Freizeitbeschäftigung für Kinder fragt, bekommt als Antwort meist eine Bullerbü-Zeitreise in die analoge Welt: Spielen im Matsch, Wandern im Wald, Herumtoben zu Hause. So ist sie fest verankert in den Köpfen vieler Familien: die ideale Kinder-Welt der Baumhäuser. Smartphone, Tablet oder Fernsehen als Zeitvertreib werden Ihnen kein Vater oder keine Mutter freiwillig nennen. Dabei könnten Eltern durchaus mutiger sein – und ehrlicher.

Denn seit Jahrtausenden gehört zum Aufwachsen von Kindern, dass sie die Kulturtechniken lernen, die ihre Zeit beherrschen. Die Digitalisierung ist die größte Revolution seit Erfindung des Buchdrucks, doch Revolutionen sind uns Menschen grundsätzlich nicht geheuer – deshalb wollen wir sie lieber verdrängen und verstecken wie früher den Fernseher hinter den Türen der Schrankwand.

Auch im Digitalen können Irrwege gehen, Fehler machen, uns Hilfe holen

Dabei könnte doch alles so einfach sein! Wir machen es mit dem Tablet genauso wie mit den Bäumen. Als ich meinen Kindern beigebracht habe, wie man Feuer macht, habe ich sie nicht mit einem Kanister Benzin, ein paar Scheiten Holz und einem Feuerzeug alleine gelassen und „Viel Spaß!“ gerufen. Nein, wir haben gemeinsam herausgefunden, wie das geht mit dem Holz und dem Feuer. Wir sind Irrwege gegangen und haben uns Hilfe geholt. Wir sind in den Wald gegangen, haben verschiedene Sorten Holz gesammelt. Wir haben in Büchern dazu gelesen und uns von Freunden zeigen lassen, wie wir ein Lagerfeuer am besten aufbauen. Schließlich haben wir es so lange mit verschiedenen Holzsorten, Laub, Stöckchen, Gras und Tannenzapfen probiert, bis endlich etwas brannte, und nicht nur rauchte.

In der digitalen Welt sollte das Gleiche gelten wie in der Natur: Wir müssen mit unseren Kindern gemeinsam herausfinden, was dort wie funktioniert. Wir können Irrwege gehen, Fehler machen, uns Hilfe holen. Aber nie allein und vor den neuen Medien „geparkt“, sondern als gemeinschaftliches Erlebnis.

„Es war immer Aufgabe der Kinder, neue Wege einzuschlagen.“ Nicola Schmidt

Smartphones, Digitalkameras, Computer, Tablets – aber auch Comics, Fernsehen und Youtube – gehören zur Welt der Erwachsenen genauso wie zur Welt unserer Kinder. Es wäre nicht fair, unsere Kinder davon auszuschließen. Es ist aber genauso wenig fair, sie damit alleine zu lassen. Wir müssen unseren Kindern beibringen, wie man die digitale Welt sinnvoll nutzt, wie man sie beherrscht und auch, wo und wie man warum aufpassen muss.

Aus meiner Sicht liegt die häufig formulierte Nervosität gegenüber digitalen Medien an unserem eigenen Umgang mit Smartphones und Tablets. Wenn wir Eltern keinen „Aus“-Knopf kennen, warum sollten Kinder ihn dann finden? Wenn wir Medien nur ein- und ausschalten, um damit Zeit totzuschlagen, sind wir schlechte Vorbilder und werden den Möglichkeiten der digitalen Welt nicht gerecht.

Ob im Wald oder am Tablet: Kinder müssen begleitet werden

Unsere Kinder müssen erleben, dass digitale Medien mehr sind als ein praktischer Babysitter, der Kinder passiv zur dankbaren Werbezielgruppe macht. Mit digitalen Medien können wir arbeiten und etwas Kreatives erschaffen. Wir müssen die Möglichkeiten entdecken und sie unseren Kindern vermitteln. Denn „nutzen“ und „beherrschen“ sind nicht dasselbe.

Aktuelle Studien zeigen zum Beispiel, dass die meisten Kinder im Alter zwischen drei und 13 Jahren Zugang zu einem Tablet haben. Jedes zweite sechs- bis achtjährige Kind hat ein Smartphone zur Verfügung. Doch mit einem Computer richtig arbeiten können unter den Acht- bis Neunjährigen nur zwei von zehn Kindern. Sogar unter den 12- bis 13-Jährigen können nur drei von zehn Kindern beispielsweise einen Ordner anlegen und Ordnung auf dem Rechner schaffen.

Es war immer Aufgabe der Kinder, neue Wege einzuschlagen, in ihrer Unbefangenheit und ihrer Phantasie mit dem, was sie vorfinden, Neues zu probieren und so lange zu tüfteln, bis sie ein Problem gelöst haben. Wenn wir unsere Kinder gut begleiten, gelingt ihnen das alles auch noch heute – im Wald, am Lagerfeuerplatz und am Tablet.

Zur Person

Nicola Schmidt ist Wissenschaftsjournalistin und Autorin von Eltern-Ratgebern. Die zweifache Mutter veröffentlichte im Frühjahr 2019 im Beltz Verlag „Wild World. Wie Kinder an der Welt wachsen und Eltern entspannt bleiben“.

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