Gamification Opener 4

Wissen

Hilft Gamification bei der Erziehung?

Spielprinzipien motivieren mit Punkten, Abzeichen oder Geschichten. Wie setzt man die Methoden der Gamification im Familienleben mit Kindern heute ein? Eine Reise durch das Reich der Psychologie, die bei drei weisen Apps endet.

Mein älterer Sohn ist Weltmeister. Er hatte an einem anstrengenden Sonntag die meisten Punkte beim Schleppen von Kisten, Kissen, Kindersachen aus einem dritten Stock in den Lastwagen gesammelt. Am Ende erhielt er ein Fünfmarkstück als Medaille in den Händen und wurde von den Mithelfern bejubelt – als Umzugsweltmeister. Er errötete vor Stolz und fragte: „Wann findet die nächste Weltmeisterschaft statt?“

Mein jüngerer Sohn ist Freiheitskämpfer. Vor allem in den warmen Monaten bewahrte er unsere Festung vor dem Eindringen tausender kleiner grüner Wesen, die etwa alle sechs Wochen das Heim überfallen. Kurz vor der Überwucherung drufte er die ultimative Waffe in die Hand nehmen – und die Angreifer mit lautem Getöse weg mähen. Danach stellt er den Rasenmäher wieder in den Schuppen.

Was ist überhaupt Gamification?

Gamification, das ist zum Beispiel:

  • Punkte als positive Währung für ein gewünschtes Verhalten. Punkte, die der Spieler später in eine Belohnung umtauscht: in Abzeichen, Orden, Medaillen.
  • Geschichten als Motivatoren, die langweilige Tätigkeiten in epische Abenteuer umwandeln.

Beides ist lange her. Die Weltmeister und Weltenbewahrer von gestern gähnen heute als 17- und 12-Jähriger bei diesen Beispielen. Und ich bin auf der erneuten Suche nach Methoden, mit denen ich meine Jungs weiterhin spielerisch motiviere. Nach neuen Versionen der Mechaniken, die viele aus Computerspielen kennen. Und die manche bereits unter dem Begriff der Gamification (holprig übersetzt: Spielifizierung) gehört haben.

Gamification Text 1

Die Motoren der Motivation

Wer könnte mir dabei helfen? Ich rufe Dr. Michael Sailer (33) an. Er arbeitet am Lehrstuhl für Empirische Pädagogik und Pädagogische Psychologie der Ludwig-Maximilian-Universität, eines seiner Forschungsschwerpunkte: Gamification. Er erklärt zunächst die drei alltäglichen Motoren der Motivation: das Erleben von Kompetenz, Autonomie und sozialer Eingebundenheit. Dann konkretisiert er:

1. Kompetenzerleben: „Das ist das Gefühl, in einer Situation erfolgreich etwas bewirken zu können“, sagt Sailer. Punkte oder Abzeichen arbeiten dabei als Elemente positiver Rückmeldung, ein Zeichen eines Erfolgs. Und das auf etwas, auf das wir sonst kein Feedback „Gut gemacht“ bekommen. Zum Beispiel für das Ausräumen der Spülmaschine.

2. Autonomieerleben: „Uns motiviert, wenn wir etwas tun, das für uns eine Bedeutung hat. Und/oder in der wir eine Handlungsoption auswählen können“, erklärt Sailer. Beides kann zu einem Erleben von Autonomie führen. Ein Rasen zu mähen hat für ein Kind keine Bedeutung. Der Kampf gegen eine Armee kleiner, grüner Invasoren eher.

3. Soziale Eingebundenheit: „Jeder will Teil von etwas Größerem sein. Oder in einem relevanten Kontext eingebunden sein“, erläutert Sailer. Das Erleben einer epischen Geschichte kann so ein Erlebnis auslösen – und das noch wahrscheinlicher, wenn der Akteur dabei mit anderen interagiert: mit echten oder fiktiven, simulierten Menschen.

Gamification ist nur ein Angeberwort für: den Verstärkerplan

Und wie setze ich das konkret in der Erziehung um? Ich wende mich an Myriam Gelder (32), die Pädagogin und angehende Therapeutin hat ein Buch über das Kinderspiel geschrieben. Gamification ist für sie nur ein Angeberwort für eine Methode, die es schon seit Jahrzehnten in der Kinder- und Jugendlichentherapie gibt: den Verstärkerplan. Hier sammeln Kinder Sonnen oder Sterne, wenn sie gewünschte Aufgaben erledigen.

„Spielen ist die elementare Lernform von Kindern. Es ist ihre Sprache, das interessiert sie“ Myriam Gelder

Warum funktioniert so ein Plan? „Spielen ist die elementare Lernform von Kindern. Es ist ihre Sprache, das interessiert sie“, erklärt Gelder. Und was interessiert, das motiviert. Das wichtige dabei: So ein Plan muss gemeinsam mit den Kindern erarbeitet, definiert und verabschiedet werden: Was genau soll belohnt werden? Was zum Beispiel bedeutet „brav sein“? Was bekommen die Kinder dafür? Aber: Einen ausgedruckten Plan für (fast) Teenager im Jahr 2018? Da muss es digitale Varianten geben. Gibt es.

Drei Apps mit Verstärkerplanlogik

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Gamification App 1C
Gamification Epic Win 4

Was ich dort mache: Ich wähle und taufe einen fantastischen Avatar. Danach beschreibe und bepunkte ich meine eigenen Aufgaben: „Mit Söhnen über Gamification sprechen“, 100 Punkte. Erfüllte Missionen geben Punkte, diese füllen einen Fortschrittsbalken, zudem reist meine Figur auf einer Landkarte weiter.

Was ich großartig finde: Grafisch und optisch wirkt die App wie ein Game. So pfeift der Wind, wenn ich die Karte öffne, um den Fortschritt meiner Reise zu prüfen.

Was ich vermisst habe: Warum kann ich keine Aufgaben für andere Spieler einstellen und nach Überprüfung belohnen? Warum kann mein Sohn selber entscheiden, dass er eine Aufgabe erledigt hat?

Wie meine Jungs darauf reagiert haben: Erst interessiert, dann gelangweilt. Denn wer Punkte sammelt, weiter reist, dabei Gegenstände sammelt, der kann damit ... gar nichts anstellen. Die Progression schaltet keine neuen Funktionen frei. „Wäre geil, wenn mein Avatar gegen deinen kämpfen könnte“, sagt Sohn-17. Oh ja, dann hätten wir einen Küchenboden, so rein wie ein OP-Tisch.

Gamification Arrowdown
Gamification App 2C
Gamification Quedo 1

Was ich dort mache: Avatar kreieren, Aufgaben definieren – kennen wir. Was bei Quedo hinzu kommt: Jeder Mitbewohner hat eine Figur in einer gemeinsamen, virtuellen Burg. Ich kann Aufgaben (auch für andere) definieren, zuweisen und bepreisen: „Zimmer aufräumen“, Sohn-12 bitte, gibt 20 Goldstücke.

Was ich großartig finde: Dass Sohn-12 das Gold erst kriegt, wenn ich es absegne. Und dass ich selbst auch die Belohnungen designe: Eine extra Stunde Computerspielen kostet erst 50 Münzen. „Viel zu teuer“, protestiert Sohn-12. Na gut, 40.

Was ich vermisst habe: Zum Gold sammle ich zudem den Klassiker: Erfahrungspunkte. Und wenn ich aufsteige, schalte ich neue Avatare frei. Also neue Grafiken für eine Figur. Sonst nichts. War mir zu wenig.

Wie meine Jungs darauf reagiert haben: Erst euphorisch. Sohn-12 gibt „Latein lernen“ ein. Ich bepreise es mit 10 Goldstücken. Danach gelangweilt – „Latein erledigt. Und dafür bekomme ich jetzt Goldstücke – und sonst nichts?“ Auch hier fehlt also ein relevanter Kontext, der Bedeutung schafft.

Gamification Arrowdown
Gamification App 3C
Gamification Habitica 1

Was ich dort mache: Avatar, Aufgaben – klar. Hier zudem: Mit steigendem Level schalte ich neue Funktionen frei (ab Level 3: Haustiere, die ich zu Reittieren züchten kann) Dazu Minuspunkte für Gewohnheiten, die ich loswerden will – aber es noch nicht schaffe. Schließlich die Funktion, Termine einstellen (Täglich, 19:00 Uhr: „Müll runterbringen“).

Was ich großartig finde: Gekaufte Belohnungen wie das Trainingsschwert bekommen eine kleine Relevanz. Denn Ausrüstung verbessert meine Figur. Und die kämpft dann (über das Erledigen von Aufgaben) effektiver in gemeinsamen Kämpfen gegen epische Gegner.

Was ich vermisst habe: Die Haustierfunktion könnte noch mehr motivieren, wenn ich es individuell ausbauen könnte – und es mitkämpft.

Wie meine Jungs darauf reagiert haben: „Das beste der drei Beispiele“, sagt mein 17-Jähriger Sohn. Zur vollendeten Motivation fehlt ihm, dass er nicht selbst abhaken kann, ob er etwas erledigt hat. „Ich würde bei gemeinsamen Kämpfen immer betrügen.“

Das Fazit

Gamification kann auch bei älteren Kindern funktionieren – wenn das Design stimmt. Allerdings sind da die Kinder anspruchsvoller, die Game-Mechaniken ohnehin kennen. Was bleibt: Unabhängig von Alter und Videospielerfahrung hilft es, gemeinsam Aufgaben und deren Belohnungen zu definieren. Dafür braucht man allerdings keine App.

Über den Autor

Der Journalist und Autor Maximilian Gaub, 43, bloggt auf World of Mencraft über Medienkompetenz, Game-Prinizipien, Programmieren und sein Leben als Halbzeit-Alleinerziehender zweier Söhne. Ursprünglich wollte er herausfinden, welche berufsunabhängigen Kompetenzen seine Kinder in einer digitalen Zukunft brauchen und wie sie diesen am besten erlernen. Für Coding Kids hat Maximilian bereits über die besten Computerspiele für Jugendliche geschrieben.

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