M Digital Detox Ba3

Meinung

Da war doch was mit Vorbild-Funktion!

Das Smartphone als Verlängerung ihrer selbst? Das war lange so – und fühlte sich keinesfalls falsch an. Doch seitdem ihre Tochter eine erstaunliche Wisch-Kompetenz entwickelt hat, muss Kira Brück dringend das Verhältnis zu ihrem Handy überdenken. Und ihre permanente Erreichbarkeit in Frage stellen.

Mein erstes Smartphone bekam ich 2011. Ich war natürlich schwer verliebt und fühlte mich wie in einer Art digitalem Disneyland für Erwachsene. Alles immer dabei: Kamera, E-Mails, Telefon, Internet, Wecker, tausende Apps. Seither gab es – wie bei so vielen – kein Halten mehr. Das Smartphone durfte sogar mit in Meetings, hat keinen gestört. Fast alle empfinden ihr Gerät schließlich als eine Art Verlängerung ihrer selbst. Was auch nicht so weit hergeholt ist: Das digitale Ich lebt ja im Smartphone. Überhaupt habe ich das Gefühl: Da steckt so viel von mir drin! Chats mit Freunden, Notizen, Bilder – wie eine Art digitales Tagebuch. Kurzum: Mein Smartphone und ich, wir wurden unzertrennlich. Ich hielt es ständig in den Händen, schaute drauf. Von Sucht will ich nicht sprechen, aber anhängig war ich trotzdem.

„Schon morgens den ersten Krach, weil Töchterlein lieber Fotos wischen wollte, anstatt zu frühstücken? So ging es nicht weiter!“ Kira Brück, Redaktionsleiterin Coding Kids

Und dann kam meine Tochter. Die ist jetzt zwei Jahre alt und hat natürlich längst eine verblüffende Wisch-Kompetenz entwickelt. Erst war der kleine Bildschirm nur der Notnagel, wenn wir mal wieder im Stau standen und die Nerven runtergerockt waren. Aber dann kamen Face-Time-Gespräche mit den Großeltern dazu. Und die süßen Videos von Hund Paul, die Oma immer rüberbeamt. Ich war ehrlich erstaunt, welche starke Anziehungskraft diese Geräte auf ein kleines Kind haben können (und zugegeben, vielleicht auch ein bisschen naiv). Irgendwann gab es schon morgens den ersten Krach, weil Töchterlein lieber Fotos wischen wollte, anstatt zu frühstücken. So geht’s nicht weiter, beschloss ich. Nicht nur die Handy-Obsession meiner Tochter ging mir gehörig auf die Nerven – auch die geteilte Aufmerksamkeit meinerseits strengte mich an. Was lebe ich meinem Kind da eigentlich vor? Dass es immer eine Alternative zum realen Leben gibt? „Liebes, du bist da und wichtig. Aber alles, was auf diesem Bildschirm passiert, ist es ebenso.“ Das geht wirklich in die ganz falsche Richtung! Jeder weiß schließlich, wie blöd es sich anfühlt, wenn man etwas erzählen möchte und der andere ständig auf sein Telefon glotzt. Als wäre man selbst oder dieses Gespräch gerade nicht spannend genug.

Mal „off“ sein tut gut

Ich interviewte den Medienpädagogen Uwe Buermann, der mir ein bisschen ins Gewissen redete. Er sagte, dass es jetzt vor allem auf mich als Vorbild ankomme. Wie ich mit digitalen Medien umgehe, wird für mein Kind zur Normalität. Uwe Buermann erzählte mir auch, dass es für Achtklässler eine Art reales Sozialevent sei, wenn Smartphone-Verbot auf der Klassenfahrt herrscht. Und dass die Schüler meistens ziemlich begeistert von Digital Detox sind. Nur die Eltern fänden es nicht so klasse, wenn sie ihre Kids nicht erreichen können. Das fand ich dann wieder lustig! Und dann sagte er noch etwas, was mich beruhigte: „Permanente Erreichbarkeit führt nicht zur Steigerung der Produktivität. Sondern bewirkt eher das Gegenteil.“ Wenn ich das Gerät also weglege, einfach mal „off“ bin, tut mir das auch noch gut.

Hier geht’s um ungeteilte Aufmerksamkeit

Das klingt verrückt, aber ich wurde erst durch meine kleine Tochter dazu angehalten, mich mit meinem Smartphone-Konsum zu beschäftigen. Ich möchte damit keinesfalls andeuten, dass Kinder mit der Digitalisierung nichts zu tun haben sollen. Ganz im Gegenteil! Ich werde die erste sein, die sich coole interaktive Vorlese-Apps aufs Tablet lädt. Aber hier geht’s um etwas anderes: um ungeteilte Aufmerksamkeit.

Ab jetzt gilt: Konsequent vorleben, wie ein guter Umgang mit dem Smartphone aussehen kann. Also nicht mehr ständig hinschauen, wenn es einen Pieps von sich gibt. Meiner Meinung nach der einzige Weg, meiner Tochter zu zeigen, dass ich auch ohne Telefon lebensfähig bin. Und dass das echte Leben viel größer ist als alles andere. Beim Essen Handy weg, zu Hause außer Reichweite und in den Abendstunden Ton aus. Die Facebook-App habe ich gelöscht. Auf dem Spielplatz bleibt das Telefon im Rucksack. Für die Uhrzeit gibt’s eine Armbanduhr. Und vielleicht sogar mal wieder von einem echten Wecker wecken lassen. Nur wenn meine Tochter in der Kita ist und ich arbeite, habe ich mein Smartphone noch immer neben mir liegen – wie früher. Ist die Kleine in meiner Nähe, betreibe ich Smartphone-Detox. Und was soll ich sagen? Bisher hat mir noch keiner die Freundschaft gekündigt, weil ich nicht sofort auf eine WhatsApp geantwortet hätte. Ich lasse mich jetzt also voll ein in dieses Abenteuer. Reales Sozialevent, here we come!

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