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Wie digital ist die Bildungspraxis?

Der Unterricht mit digitalen Lernplattformen ist in aller Munde. Durch diese können Lerninhalte bereitgestellt, Aufgaben verteilt und Lernerfolge überprüft werden. Eine Studie der Heinrich-Heine-Universität zeigt den Status Quo.

Die Unterstützung des Unterrichtsalltags von Lernenden und Lehrenden durch digitale Lernplattformen wie Moodle, Office 365 oder Mebis gewinnt immer mehr an Bedeutung. Durch die Plattformen können Lerninhalte bereitgestellt, Aufgaben verteilt und Lernerfolge überprüft werden. Learning Analytics (LA), das Interpretieren von Daten der Lernenden durch Algorithmen soll eine Verbesserung des Lernverhaltens ermöglichen.

Gastbeitrag von Alina Köchling und Anna Nieter

Die Autorinnen sind Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Juniorprofessur für BWL, insb. Unternehmensführung.

Welche Chancen und zukünftigen Potenziale ergeben sich durch die neuen Lernplattformen? Und welche Risiken und Barrieren gehen mit ihnen einher? Um einen Einblick in die gelebte Praxis des digitalen Lernens im Bildungsbereich zu bekommen wurden 12 Interviews mit Lehrenden, Schulleitern und Mitgliedern des IT-Supports aus deutschen Schulen und Universitäten durchgeführt. Die Erkenntnisse haben wir folgend zusammengefasst.

Chancen und Risiken

Die Nutzung solcher Plattformen führen neben einem geringeren Papierverbrauch zu einem verbesserten Datenaustausch, einer erleichterten Kommunikation und dem Austausch von Feedback. So soll individueller und flexibler auf die Bedürfnisse Einzelner eingehen werden können. Als weiterer Vorteil dieser Plattformen wird zudem die verbesserte Strukturierung des Unterrichts sowie des selbstständigen Lernens der Lernenden gesehen. Der ständige Zugriff auf die Unterrichtsmaterialien erleichtern die Vor- und Nachbereitung des Unterrichtsstoffs, auch bei einer krankheitsbedingten Abwesenheit der Schüler. Die Bereitstellung von Online-Tutorials, die mehrmals angeschaut werden können, erleichtern das Lernen maßgeblich.

„Wir arbeiten mit OneNote. Tafelbilder werden komplett gespeichert und der Unterrichtsfortgang abgebildet ist. Für jeden, an jedem Ort, selbst über das Handy.“

Mit Hilfe der Portale sei ersichtlich, wie erfolgreich und schnell die Aufgaben bearbeitet wurden. Manche Schulen führen Online-Klassenarbeiten auf den Plattformen durch, andere Einrichtungen lassen die erbrachten Leistungen auf den Portalen nicht in die Benotung einfließen und nutzen sie mehr für Vertiefungsübungen. Aus Datenschutzgründen sind Login-Zeiten der Lernenden nicht sichtbar und können daher auch nicht mit in die Bewertung einfließen. Es wurde befürchtet, dass es zu Fehleinschätzungen kommen könnte, wenn aufgrund der Online-Daten die eigentliche Kursteilnahme der Lernende beurteilt werden würde.

„Also man muss von Grund auf den Informatik-Unterricht und die damit verbundenen Kompetenzen fördern. Das Problem: Wir haben gar keine Lehrkräfte dafür.“

Ein zentrales Problem beim Einsatz von digitalen Lernplattformen stelle die Auswertung der Daten dar. Es sei unklar, ob aus bestimmten Daten der Lernplattform Rückschlüsse auf den individuellen Lernprozess gezogen werden können und wie diese Daten mit den Prüfungsergebnissen der Lernende verknüpft werden sollen. Des Weiteren berge der Datenschutz ein großes Risiko, da Lehrende oft keine Schulungen zu diesem Thema erhielten und daher oft keine Kenntnisse über den richtigen Umgang mit den Daten hätten.

Zudem gäbe es einen Mangel an IT-Lehrkräften in den Bildungseinrichtungen. In den meisten Fällen habe das Kollegium lediglich eine Einführung in die Nutzung der Plattformen erhalten.

Obwohl einige Lernende Schwierigkeiten mit dem Umgang der Plattformen hätten, herrsche die Vorstellung, dass „Digital Natives“ keinerlei Probleme im Umgang mit neuen Technologien hätten.

„Ich wünsche mir noch mehr Vernetzung. Noch mehr Zusammenarbeit und Kooperation und dafür weniger Wettbewerb.“

Weitere Befürchtungen im Rahmen digitaler Lernplattformen sind die fehlende Trennung von Schule und Freizeit sowie Mobbing und Benachteiligung, wenn ein Lernender nicht die gleichen technologischen Mittel besitzt wie Andere. Zudem geht der Einsatz der Plattformen mit der Anschaffung teurer Geräte einher. Die ständige Erreichbarkeit der Schüler, der Umgang mit (fehlender) Anonymität und der Verlust des menschlichen Kontaktes seien weitere Barrieren für die Implementierung digitaler Lernplattformen in Schulen.

Potenziale und Perspektiven

Die Zukunft deutscher Bildungssysteme wird von den befragten Experten in einer Mischung aus digitalem Lernen und klassischen Präsenzveranstaltungen gesehen. Notwendig sei es, dass die gesamte Infrastruktur verbessert und Kompetenzen geschult würden. Die Lehrenden müssten stärker für Digitalisierungsthemen sensibilisiert werden und im Lernprozess liege ihre Rolle dabei dann vermehrt im Bereich des Coachings. Lernende hingegen können möglicherweise mithilfe der digitalen Plattformen bereits zur Schulzeit erste Kontakte zu potenziellen Arbeitgebern knüpfen.

Des Weiteren sollen sie insgesamt selbstbestimmter Lernen und und sich vermehrt zu Produzenten des Wissens entwickeln. Insgesamt sehen die Befragten der zukünftigen Entwicklung der Bildungspraxis durch die digitalen Lernplattformen positiv entgegen. Sie erhoffen sich eine verbesserte Kooperation und frühzeitige Erkennung individueller Förderungsmaßnahmen und dadurch die Verbesserung kollaborativen und individuellen Lernens.

Über die Studie

Seit Ende 2018 forschen die HHU Düsseldorf und die HTW Berlin an dem Projekt „LADi - Learning Analytics und Diskriminierung“. Es beschäftigt sich damit, wie Diskriminierung nach Geschlecht, Alter, Herkunft oder Lerntyp durch den Einsatz von algorithmischen Auswertungen in digitalen Lernsystemen und -prozessen begünstigt oder verhindert werden kann. Ziel des Vorhabens ist es, die Auswirkung zunehmender Datenfülle für den Lehrenden auf die implizite Diskriminierung der Lernenden zu untersuchen.

Weitere Infos zum digitalen Unterrichten:

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